Japan und die Atomkraft

Mike Weightman (02810459) Foto: Mike Weightman (02810459) von IAEA Imagebank, lizenziert unter CC BY-SA 2.0

von Johanna Dietz, Adnan Hasanic, Michael Dörken und Tamara Fredrich

Japan hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will die Regierung auch auf Atomenergie zurückgreifen. Währenddessen steigen sowohl der Unmut der japanischen Bevölkerung gegenüber der Atomkraft als auch die Bedenken zur Sicherheit der Reaktoren. 

Vor dem großen Tōhoku Erdbeben im Jahr 2011 und der daraus resultierenden Fukushima-Katastrophe im Fukushima Daiichi bezog Japan 30% seines Strombedarfs aus Kernenergie. Nach der Katastrophe verwarf die Regierung zunächst die Pläne, diesen Anteil weiter zu erhöhen und beschloss, alle noch operierenden Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. Jedoch nahm man schon 2015 zwei Reaktoren wieder in Betrieb.

Zudem kündigte der damals amtierende Premierminister, Yoshihide Suga im Oktober 2020 überraschenderweise die Klimaneutralität bis 2050 an. Im Rahmen dieses Projekts sollen weitere Atomkraftwerke wieder ans Netz angeschlossen werden, denn bis 2030 sollen wieder 20 – 22% des erzeugten Stroms aus Kernenergie stammen.

Bis zur Fukushima-Katastrophe wurden 54 Reaktoren in 17 Atomkraftwerken betrieben. 33 dieser Reaktoren wurden als weiterhin betriebsfähig eingestuft. Heute werden davon nur 10 Reaktoren betrieben, die wieder Strom ins Netz einspeisen. Nur sie erfüllen bis jetzt die neuen Sicherheitsauflagen der Nuclear Regulation Authority (NRA). Doch weitere 16 Reaktoren, von denen sich zwei noch im Bau befinden, haben die Erlaubnis zur Wiederinbetriebnahme bereits beantragt.

Die Reaktoren kommen wieder ans Netz

Der Wegfall von derzeit 27 Reaktoren lässt sich durch die neuen Sicherheitsstandards der NRA erklären, welche seit dem 8. Juli 2013 in allen kommerziell betriebenen Kernkraftwerken angewendet werden. Sie erfüllen die Sicherheitsstandards nicht und liegen somit komplett still. Doch die Gründe für den Stillstand sind vielseitig und reichen von ungünstiger geografischer Lage zu unzureichender Nachrüstung. Somit könnten auch einige dieser Reaktoren wieder in Betrieb genommen werden.  

Die NRA stellte die Energieunternehmen vor die Wahl ihre Anlagen stillzulegen oder die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen. Beide Optionen sind jedoch mit massiven Kosten verbunden. Eine Erhebung von Kyōdō News aus dem Jahr 2020 ergab, dass sich die Gesamtkosten für die Umsetzung der neuen Sicherheitsmaßnahmen, die Instandhaltung und die Stilllegung der kommerziell betriebenen Kernkraftwerke auf rund 13,46 Billionen Yen ($123 Mrd.) belaufen werden. Dabei berücksichtigte die Erhebung nicht einmal alle Faktoren. So wurden unter anderem anfallende Kosten für Anti-Terrormaßnahmen nicht mit einberechnet, wodurch die Gesamtkosten letztendlich noch um mehrere Hundert Milliarden Yen ansteigen können.

Zudem gibt es die Möglichkeit, die auf 40 Jahre begrenzte Betriebsdauer eines Reaktors durch Prüfung einmalig um weitere 20 Jahre zu verlängern. Die 40-Jahresgrenze wurde vor Kurzem vom Reaktor Mihama 3 überschritten. Seine Wiederinbetriebnahme wurde prompt seitens der NRA und des Bürgermeisters von Mihama genehmigt. Außerdem genehmigte der Gouverneur von Miyagi im November 2020 die Inbetriebnahme des ersten Siedewasserreaktors seit der Fukushima-Katastrophe. Jedoch geht die Regierung von einer Wiederinbetriebnahme frühstens 2022 aus.

Siedewasserreaktoren hatte man bisher mit besonderer Skepsis bedacht, da auch der Reaktor in Fukushima von diesem Bautyp war. Aber auch die neuen Sicherheitsstandards, die vorsehen, im Notfall radioaktiven Dampf in die Umwelt abzugeben, werden ihren Teil dazu beigetragen haben.

Kritik von der Meiji Universität

Die Wiederinbetriebnahmen reflektieren jedoch nicht den Gemütswandel der Bevölkerung. 2020 sprachen sich 48% der Befragten dafür aus, Stück für Stück aus der Atomenergie auszusteigen, während im April 2011 noch rund 50% der Befragten dafür waren, Atomenergie wie bisher weiter zu betreiben oder sogar auszubauen.

Professor Tadahiro Katsuda von der Meiji Universität meint, dass sich die Nuklearpolitik seit dem Fukushima-Unfall nicht verbessert hat. Er argumentiert außerdem, dass die neuen Sicherheitsmaßnahmen für Atomkraftwerke weniger wirksam sind als erwartet. Vor allem nicht vorhersehbare Naturphänomene wie Erdbeben, Tsunamis oder Stürme könnten neue Gefahren aufkommen lassen.

Sicherheit und Endlager

Auch sorgte Fukushima Daiichi erneut für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass die Regierung plant, radioaktiv belastetes Wasser behandelt und verdünnt ins Meer zu leiten. Man plant, den größten Teil an radioaktiven Stoffen aus dem Wasser zu entfernen und Stoffe, die nicht herausgefiltert werden können, zumindest stark zu verdünnen, sodass diese keine Gefahr mehr für den Menschen und die Natur darstellen.

Da dieses Vorhaben auch die Vorgaben der International Atomic Energy Agency (IAEA) erfüllt, ist es eher unwahrscheinlich, dass auf eine andere Entsorgungsmethode zurückgegriffen wird. Jedoch soll nicht vor 2023 damit begonnen werden. Allerdings sind sich Expert*innen noch uneinig, ob die im Wasser enthaltenen radioaktiven Rückstände für Menschen und Meer schädlich sind oder nicht.

Ferner steht die Frage des Atommülls noch offen im Raum. ­­­Da das radioaktive Abfallmaterial für mehrere Tausend Jahre lebensgefährlich bleibt, muss man ein Endlager errichten. Doch mögliche Standorte sollen erst vorgeschlagen und dann detailliert auf ihre Eignung als Endlagerstandort geprüft werden. Nach Abschluss dieser Planung sollte ein Endlager Ende der 2030er in Betrieb gehen. Bis heute steht jedoch kein Standort fest. Im Moment lagern manche Kernkraftwerkbetreiber den Atommüll in einem Zwischenlager in Aomori, oder in eigenen Lagern direkt auf den Geländen der Atomkraftwerke.   

Blick in die Zukunft

Japan wird auch in Zukunft weiterhin auf Energie aus Atomkraft setzen müssen. Doch die Laufzeit der Reaktoren macht Atomstrom nur zu einer Übergangslösung, bis andere Arten der Energiegewinnung so weit sind, das gesamte Land mit grünem Strom zu versorgen. Doch selbst diese Übergangslösung ist mit ihren neuen Sicherheitsmaßnahmen teurer als zuvor. Ferner wurde sowohl für die weiterhin ansteigende Menge des Atommülls noch kein passendes Endlager gefunden. Japan steht unter dem wachsenden Zeitdruck, entweder ein passendes Lager zu finden oder schneller auf andere Energieträger umzusteigen. Zudem klingt die Fukushima-Katastrophe in Japan noch immer nach. Insgesamt wird die Atomenergie zwar einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität Japans leisten können, aber in Zukunft nicht unbegrenzt wie bisher nutzbar sein.