von Redaktion
Am 16. Oktober beginnt der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Er ist eines der wichtigsten Ereignisse in der chinesischen Politik, bei dem die Partei alle fünf Jahre die höchsten Führungspositionen besetzt. Vor allem spekuliert man darüber, wie das neue Politbüro, die höchste Entscheidungsinstanz der Partei, besetzt wird. DasReispapier hat die wichtigsten Prognosen zum Parteitag gesammelt und zusammengefasst.
Premierministerkandidaten
Li Keqiang 李克强, der seit 2012 den Posten des Premierministers besetzt, kündigte schon vor einigen Monaten seinen Rückzug in den Ruhestand an.
Hu Chunhua 胡春华, einer der vier Vizepremiers, wird als möglicher Nachfolger gehandelt. Er war Gouverneur mehrerer Provinzen und ist jung genug, um zwei Amtszeiten zu bestreiten. Doch wie der frühere Generalsekretär Hu Jintao 胡锦涛 und Li Keqiang selbst begann seine politische Karriere im Jugendverband der Partei. Falls die Fraktion um den amtierenden Präsidenten Xi Jinping 习近平 sich gegen den Jugendverband durchsetzen will, wird Hu Chunhua wohl übergangen werden.
Mit Liu He 刘鹤 ist auch ein anderer Vizepremier im Gespräch, auch wenn er mit siebzig eigentlich zu alt ist. In den letzten Jahrzehnten war es üblich, Mitglieder des Politbüros, die älter als 67 Jahre alt waren, in den Ruhestand zu schicken. Doch diese Regel ist mehr eine Tradition als eine verbindliche Norm. Streng genommen brach man sie schon beim letzten Parteitag 2017, als Wang Qishan 王岐山 mit siebzig zum Vizepräsidenten wurde.
Wie dieser gehört Liu He zum engeren Kreis an Vertrauten um Xi Jinping, immerhin sind die beiden seit ihrer Schulzeit befreundet. Noch dazu hat er Erfahrung in wirtschaftlichen Funktionen, wodurch er sich für den Posten des Premierministers, zu dessen Aufgabengebiet vor allem die Verwaltung der chinesischen Wirtschaft zählt, gut eignet. Falls sich die Altersgrenze doch nicht übergehen lässt, wird Liu He wohl zurücktreten und eine Beraterposition einnehmen.
Schließlich kommt auch Wang Yang 汪洋 in Frage. Er hat Erfahrung als Parteisekretär in wichtigen Provinzen und war eine Zeit lang Handelsminister. Momentan ist er Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz, eines wichtigen Beratungsgremiums der chinesischen Politik. Er kann, ohne die Altersregel zu brechen, weitere fünf Jahre im Politbüro arbeiten.
Auf- und Abstiege in der Covid-Ära
Ähnliche Diskussionen gibt es über andere hochrangige Politiker. Li Qiang 李强 ist als Parteisekretär von Shanghai bereits Mitglied im Politbüro. Auch ihn sieht man als Kandidaten für den Premierminister, denn er hat gute Verbindungen zu Xi, nachdem er schon in den Zweitausender Jahren für ihn gearbeitet hat. Doch gleichzeitig ist Li Qiang für die Covid-Situation in Shanghai verantwortlich. Nach dem Geprahle der Shanghaier Stadtverwaltung im vorigen Jahr über die Effektivität der Maßnahmen kam es im Februar zu einem desaströsen Lockdown, der Lis Karriereaussichten trüben könnte.
Xi Jinping und seine Titel
Xi Jinping, der amtierende Staatspräsident und Generalsekretär, wird seine Posten mit aller Wahrscheinlichkeit behalten. 2018 hob das Parlament die Amtszeitbeschränkung für den Posten des Präsidenten auf, was es ihm auch erlaubt, am kommenden 20. Parteitag Generalsekretär zu bleiben und im kommenden Jahr seine dritte Amtszeit anzutreten. Die Altersgrenze spielt hier keine Rolle. Es scheint auch unwahrscheinlich, dass er einen Nachfolger nominiert.
Viel eher wird er und seine Fraktion die Partei weiter nach ihren Vorstellungen formen. Die Parteisatzung – auch oft „Verfassung“ der Partei genannt – wurde bei jedem bisherigen Parteitag leicht geändert. Zentrale politische Slogans wie die „Zwei Sicherheiten“ 两个确立 oder die „Zehn Klarheiten“ 十个明确 könnten als neuer Bestandteil der Parteisatzung Xi Jinpings Macht weiter zementieren. Die Partei könnte Xi Jinping auch den Titel „Volksführer“ 人民领袖 verleihen, mit dem er bisher nur informell bezeichnet wurde.
Eine neue Spitze für die Partei?
Unter den Prognosen findet sich auch eine waghalsige Voraussage: Unter Xi hat die Partei bereits weitreichende Änderungen in der Zentralregierung vorgenommen. Diese könnte man auch noch weitertreiben, indem sich die Führungsspitze der Partei neu organisiert. Sie könnte die Position des Vorsitzenden der Partei, die Anfang der achtziger Jahre abgeschafft wurde, für Xi reaktivieren.
Das würde seine Machtposition in der Partei zusätzlich stärken, immerhin wurde die Position ursprünglich für Mao Zedong 毛泽东 geschaffen. Außerdem könnte man mit diesem System ältere Führungspersönlichkeiten in hohen Positionen behalten, ohne jüngeren Anwärtern die Chance auf Aufstieg zu verwehren. Der Posten des Generalsekretärs würde frei werden und eine ähnliche Reihe an Kandidaten wie für den Premierministerposten stünde dafür zur Auswahl.
Lesen im Teesud
Sehr wahrscheinlich scheint diese Umstrukturierung dennoch nicht. Xi Jinping gewinnt daraus keine eindeutigen Vorteile, die er im jetzigen System nicht auch hätte. Vor allem macht sie die Aufhebung der Amtszeitbeschränkung vor knapp fünf Jahren überflüssig. Noch schlimmer: Xi würde dem neuen Generalsekretär eine Machtposition hinterlassen, die er erst vor Kurzem gestärkt hat.
Natürlich kann niemand die Zukunft voraussagen. Die Kommunistische Partei Chinas lässt nur wenig Information über ihre interne Funktionsweise nach außen dringen. Persönliche Verbindungen unter den Politiker*innen sind schwer abzuschätzen und spielen eine wichtige Rolle. Selbst Expert*innen der Parteigeschichte und Elitenpolitik können kaum mehr als spekulieren. Aber zum Glück wird uns die Partei bald genug zeigen, wer China nach dem zwanzigsten Parteitag mitregiert.