von Martin Mandl
“Der Bubble-Tea ploppt wieder auf!“, titelte Der Standard im Mai. Und tatsächlich, das aus Taiwan stammende Getränk ist zurück auf den Straßen Wiens. Dabei stellt Taiwans Kulinarik nicht nur eine Form des Kulturexports dar, sondern könnte auch eine Rolle für Taiwans Kampf um internationale Sichtbarkeit spielen.
Erinnern Sie sich noch an das erste Mal? Nicht an das erste Mal Bubble-Tea – mein erstes Mal war vermutlich an irgendeiner Straßenecke Tainans oder Kaohsiungs – sondern an das erste Mal, dass Bubble-Tea in Österreich populär wurde. Das ist nun etwa 10 Jahre her und hielt nicht so lange an.
In der Zwischenzeit haben jedoch auch eine Reihe anderer taiwanischer Food-Trends internationale Popularität gewonnen: die herzhaften Gua Bao „Burger“ zum Beispiel oder die ursprünglich vom chinesischen Festland importierte Rindfleisch-Nudelsuppe. CNN ließ bereits 2015 aufhorchen, als eine Online-Umfrage Taiwan zum Reiseziel mit dem weltbesten Essen kürte.
Taiwans Gastrodiplomatie
Manche Beobachter*innen führen dies auf Taiwans erfolgreiche Gastrodiplomatie zurück. Und tatsächlich hat Taiwans ehemaliger Präsident Ma Ying-jeou es bereits 2010 zu „einer seiner Prioritäten erklärt, Taiwans Esskultur in die Welt hinauszutragen“. Es folgte ein wirtschaftlicher Stimulus-Plan zur Internationalisierung taiwanischer Köstlichkeiten, der sowohl die Küchen der Welt in Taiwan zusammenbringen als auch der Welt taiwanische Delikatessen näherbringen sollte.
Gastrodiplomatie ist die „New Public Diplomacy“ – Aktionen, die in der ausländischen Öffentlichkeit positive Assoziationen erzeugen sollen – umgelegt auf Essen als Medium. Der Restaurantbesuch wird somit zum informellen Kontakt mit Taiwan; über das Essen werden niederschwellige und persönliche Kontakte mit der Bevölkerung des Ziellandes geknüpft. Für manche mag dies ein erster vorsichtiger Kontakt sein, für andere eine regelmäßige Kontaktpflege in nostalgischer Erinnerung an das Auslandsjahr oder die letzte Fernreise.
„Die Zeiten rein staatlicher Propaganda sind vorbei. Taiwans Außenministerium kann schließlich nicht alle Bubble-Tea Shops der Welt betreiben.“
– Martin Mandl
„Neu“ ist dieser Public Diplomacy Ansatz deshalb, weil ein Alleingang staatlicher Akteure im Sinne von Information und Desinformation hier nicht mehr ausreicht. Die Zeiten rein staatlicher Propaganda sind vorbei. Zivilgesellschaftlichen Akteuren, international agierenden Firmen und nicht zuletzt den eigenen Auslandscommunities wird eine tragende Rolle in der Image-Bildung eines Landes zugesprochen. Taiwans Außenministerium kann schließlich nicht alleine alle Bubble-Tea Shops der Welt betreiben.
Während Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping also gerade wieder die Rückkehr der „abtrünnigen Provinz“ beschwört und dies regelmäßig mit militärischen Drohgebärden untermalt, bietet die Gastrodiplomatie für Taipei einen Weg vorbei an den von Peking gesetzten Schranken seiner traditionellen zwischenstaatlichen Beziehungen.
Vielfalt nicht nur auf dem Esstisch
Pekings Einflussnahme auf Taiwans internationale Beziehungen war lange Zeit nicht der einzige negative Einflussfaktor. Auch intern war die taiwanische Regierung in einer Art Kalter-Krieg-Rhetorik stecken geblieben, die das Image Taiwans in erster Linie über die konfliktäre Beziehung zum kommunistischen China darstellte.
Hier zeigt meine Forschung jedoch, dass es Taiwan im Bereich der Gastrodiplomatie bereits verstanden hat, diese konfliktäre Darstellung zu überwinden. Beim Essen präsentiert sich Taiwan weitestgehend ohne Vergleich zur Volksrepublik China. China wird, wenn überhaupt, als nur einer von mehreren Ursprüngen der heutigen taiwanischen Kochkunst thematisiert. Ähnlich der Wiener Küche als Schmelztiegel der habsburgischen Küchen-Vielfalt, wird Taiwans Küche als Produkt unterschiedlicher Einflüsse dargestellt. Ein Produkt, das mehr ist als die Summe der einzelnen Zutaten.
„Taiwans Gastrodiplomatie zeichnet das Bild von einem bunten Land, auch ohne den Vergleich mit Festlandchina.“
– Martin Mandl
Die wiederkehrend-dargestellten Gerichte finden sich in den Newslettern taiwanischer Vertretungen im Ausland und in der Tourismuswerbung. Sie spiegeln das Narrativ der vielfältigen Einflüsse wider: Die berühmte Rindfleisch-Nudelsuppe und die Xiaolongbao-Teigtaschen erinnern deutlich an die Migrationsströme aus Festlandchina. Andererseits ist da das Austernomelett, welches auch auf keinem taiwanischen Nachtmarkt fehlen darf. Seine Geschichte wird eng verknüpft mit dem Widerstand gegen die Qing-Dynastie im 17. Jahrhundert und dem daraus entstandenen Gründungsmythos eines von Festlandchina unabhängigen Taiwans. Die bei uns unter ihren japanischen Namen bekannten Gerichte Sashimi und Onigri verweisen auf die Zeit japanischer Kolonialisierung. Anders als in anderen Teilen Ostasiens wird auf diese Zeit jedoch zumeist ohne starke Ressentiments verwiesen.
In der weiteren Darstellung werden Zutaten und Gerichte auch mit spezifischen Orten in Taiwan in Verbindung gebracht. Dabei wird die traditionelle Bi-Polarität zwischen der Hauptstadt Taipei im Norden und der südlichen Metropole Kaohsiung aufgebrochen. Während sich die Diskurse anderswo auf diese zwei kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Zentren beschränken, wird hier ein diverseres, vielseitigeres Bild Taiwans gezeichnet. Darüber hinaus fügt es sich aber auch in das Narrativ eines vielseitigen, bunten Taiwans, welches mit Blick auf persönliche Freiheiten und Bürgerrechte ebenso gerne kommuniziert wird. Anders als dieses kommt die Darstellung der taiwanischen Küche jedoch ganz ohne den propagandistischen erhobenen Zeigefinger gegenüber der anderen „Straßenseite“ – die Volksrepublik China – aus.
Der köstlichste Ort der Welt
Chen Yu-jen hat bereits aufgezeigt, dass die Küche Taiwans seit den 2000er Jahren zu einem Symbol nationaler Selbstständigkeit und Identität aufsteigt. Eine genauere Betrachtung zeigt den Reiz und Vorteil der Gastrodiplomatie für Taiwan: Essen ist ein politisch relativ unheikles Thema. Die lokale Verortung lässt genügend Interpretationsraum. Taiwans Status festzulegen ist dazu nicht zwingend notwendig. Die Empfänger*innen der Gastrodiplomatie können ihre Schlüsse selbst ziehen – oder eben auch nicht.
Ich persönlich wage zu bezweifeln, dass der Großteil der Konsument*innen von Bubble-Tea in Österreich sich ernsthaft Gedanken zur Herkunft des Getränks macht. Ganz zu schweigen zur volatilen Lage des Status Quo entlang der Taiwan-Straße. Das soll aber auch so sein. Darin liegt ja der Vorteil von Gastrodiplomatie: Ein unverbindliches, erstes Kennenlernen mit positiven Assoziationen und einem kühlen, gezuckerten Getränk.
Ob daraus mehr wird, ist für mich als Forscher kaum messbar. Die Theorie sagt jedoch ganz klar: ja! Mir erscheint Taiwan jedenfalls wieder deutlich präsenter als noch vor wenigen Jahren und, zumindest was das Essen angeht, auch deutlich positiver besetzt. Während die Wochenzeitung The Economist also Taiwan aufgrund seiner Lage im schwelenden Konflikt zwischen der V.R. China und den Vereinigten Staaten unlängst noch als den gefährlichsten Ort der Welt bezeichnete, halte ich es mit der Abstimmung auf CNN und betrachte Taiwan als den vielleicht köstlichsten Ort der Welt. Die Zeit wird dann zeigen, wie lange der Bubble-Tea Boom in Wien diesmal anhält und ob daraus mehr wird als ein unverbindliches Kennenlernen mit einem süßen Getränk.
Über den Autor:
Martin Mandl ist Universitätsassistent am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien. Er forscht zur Kulinaristik Ostasiens, der Bedeutung von Essen in der Identitätsbildung und als Form der „New Public Diplomacy“. Martin ist leidenschaftlicher Koch und braut sein eigenes Bier. Für den Austausch von Ideen und Rezepten ist er unter martin.mandl@univie.ac.at gerne erreichbar.