von Katharina Menz
Wie steht es um die Gender-Kluft in der Wirtschaft und Politik Chinas? Ein Blick auf den Gender Pay Gap, Arbeitsmarktsegregation, Regierungsmitglieder, glÀserne Decken und klebrige Böden in der Volksrepublik.
China hat seit seiner Reform und Ăffnung neben enormer wirtschaftlicher Entwicklung auch eine beachtliche VerĂ€nderung im Stellenwert der Frau in der Gesellschaft erlebt. Dennoch gibt es, wie in den meisten LĂ€ndern, in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik Chinas unterschiedliche AusprĂ€gungen der geschlechterspezifischen Ungleichheit.
Frauen tragen die HĂ€lfte des Himmels? Nein!
Das World Economic Forum fasst genderspezifische Ungleichheit im Global Gender Gap Report 2020 zusammen und reiht China auf Platz 106 von 153 LĂ€ndern â ein Fall um 43 RĂ€nge verglichen mit dem Jahr 2006, denn viele LĂ€nder haben die Volksrepublik in den letzten Jahren ĂŒberholt. Trotzdem hat sich Chinas Wert des Global Gender Index gegenĂŒber 2006 an sich verbessert und ist von 0,656 auf 0,676 angestiegen.
Der Global Gender Index wird fĂŒr jedes Land in den Kategorien Politik, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung gemessen und gewichtet. Ein Index von 1 bedeutet eine komplette Gleichstellung der Geschlechter, ein Index kleiner als 1 eine Besserstellung des Mannes, und umgekehrt, ĂŒber 1 eine Besserstellung der Frau. Die Gender-Gleichheit in China hat sich also in den letzten 15 Jahren insgesamt verbessert. Doch wo genau findet sich die zunehmende Gleichheit und wo gibt es noch DisparitĂ€ten?
Rasante Entwicklung in Bildung und Wirtschaft
Die gröĂte Entwicklung besteht im Bildungsbereich. In China studieren sogar mehr Frauen als MĂ€nner an UniversitĂ€ten. Damit befindet sich China auf Platz eins, gemeinsam mit anderen Spitzenreiter*innen. Auch in der Wirtschaft hat sich in der geschlechterspezifischen Gleichheit viel getan. 69% der Frauen Chinas sind erwerbstĂ€tig (83% der MĂ€nner). Das liegt ĂŒber dem globalen Durchschnitt (Frauen 47%, MĂ€nner 74%). Auch im Bereich der professionellen und technischen Arbeit ist China ganz oben dabei und zeigt hier sogar einen leichten FrauenĂŒberhang (1.07). Frauen haben zudem die HĂ€lfte der Internetunternehmen Chinas gegrĂŒndet. Doch trotz besserer Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten fĂŒr Chinas Frauen gibt es eine groĂe LĂŒcke in der Bezahlung zwischen Frauen und MĂ€nnern: einen Gender Pay Gap.
Der Gender Pay Gap
Der Gender Pay Gap bezeichnet den Abstand zwischen den Geschlechtern in der Entlohnung. MĂ€nner arbeiten durchschnittlich öfter in besserbezahlten Branchen, gröĂeren Unternehmen und seltener in Teilzeit als Frauen. Daher wird dieser Lohnunterschied teilweise durch Aspekte wie Arbeitszeiten, Branche, Beruf, Ausbildungsniveau, Alter, Region, oder UnternehmensgröĂe erklĂ€rt. Jener Einkommensunterschied, der nicht durch die oben genannten Faktoren erklĂ€rt werden kann, ist der unerklĂ€rte Gander Pay Gap und wird daher auf reine Geschlechterdiskriminierung zurĂŒckgefĂŒhrt. In Ăsterreich betrug der Gender Pay Gap 2018 20,4% (vgl. 2008: 25,1%); Frauen haben also einen um 20,4% niedrigeren Durchschnittslohn. Davon sind zwei Drittel unerklĂ€rt, also geschlechterspezifische Diskriminierung. Im EU-28-Durchschnitt liegt der Gender Pay Gap bei 15%.
Auch in China kommt es zu Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Eine Studie schĂ€tzt, dass chinesische Frauen im Durchschnitt etwa nur 75% des Einkommens eines Mannes erhalten. Davon wird etwa ein Drittel auf hĂ€ufig bei MĂ€nnern auftretende Eigenschaften wie Parteimitgliedschaft, allgemeine Arbeitserfahrung oder Berufsqualifikationen zurĂŒckgefĂŒhrt; zwei Drittel sind Ă€hnlich wie in Ăsterreich unerklĂ€rte Diskriminierung.
Heiraten ja, Kinder nein
Eine Studie zeigt: FĂŒr Frauen in China hat Heiraten einen groĂen positiven Effekt auf das Einkommen, denn verheiratete Frauen verdienen in China im Schnitt mehr als unverheiratete. Womöglich signalisiert eine Heirat Arbeitgeber*innen StabilitĂ€t und ZuverlĂ€ssigkeit, oder der chinesische Arbeitsmarkt diskriminiert unverheiratete Frauen. Negative Folgen fĂŒr das Einkommen der Frau hat allerdings ein Kind, selbst wenn die damit verbundene Arbeit GroĂteils auf die GroĂeltern ĂŒbertragen wird. Denn die Einkommen sinken im Durchschnitt im Vergleich zu Frauen ohne Kinder, zeigt dieselbe Studie. Chinesische MĂ€nner hingegen habe diesbezĂŒglich keine Nachteile im Einkommen, ihr Einkommen entwickelt sich stabil, unabhĂ€ngig von Heirat und Kindern. Frauen, die Kinder bekommen, haben daher einen erheblichen Lohnnachteil, erleben demnach Diskriminierung, einfach weil sie Frauen sind.
Keine Arbeitsmarktsegregation
Andere Forscher*innen kommen ebenso zu dem Ergebnis, dass die ungleiche Bezahlung zwischen Frauen und MĂ€nnern in China fast komplett auf geschlechterspezifische Lohndiskriminierung zurĂŒckzufĂŒhren ist, also nicht durch andere Faktoren erklĂ€rt werden kann. Das gilt innerhalb aller sechs verschiedenen untersuchten Berufsgruppen. Eine berufliche Segregation zwischen Frauen und MĂ€nnern, also das Teilen des Arbeitsmarktes in âweiblicheâ und âmĂ€nnlicheâ Bereiche (ein klassisches Beispiel: Frauen arbeiten öfter als KindergĂ€rtnerinnen und MĂ€nner hĂ€ufiger als Mechaniker) gibt es in Bezug auf die Einkommensunterschiede in China nicht.
Das zeigt, dass in China eher direkte Lohndiskriminierung innerhalb aller Berufsgruppen stattfindet, anstatt indirekter Diskriminierung von gender-spezifischen Berufsgruppen. Folglich ist die geschlechterspezifische Ungleichheit am chinesischen Arbeitsmarkt weniger strukturell und tief verankert als in vielen westlichen LĂ€ndern, die eine hohe Arbeitsmarktsegregation aufweisen.
GlÀserne Decke oder klebriger Boden?
Eine weitere Studie untersucht, wie das LohngefĂ€lle zwischen MĂ€nnern und Frauen in China ĂŒber die Lohnverteilung hinweg variiert. In anderen Worten: ob geschlechterspezifische Diskriminierung eher Niedrigverdienerinnen betrifft (klebriger Boden) oder ob gutverdienende Frauen an eine glĂ€serne Einkommensdecke stoĂen. Die Ergebnisse zeigen, dass in China klebrige Böden vorherrschend sind.
Den klebrigen Boden erleben chinesische Niedrigverdienerinnen aufgrund kĂŒrzerer Arbeitserfahrung, kĂŒrzerer Anstellungsdauer in einer Firma und Familienpflichten, die sich negativ auf ihre Löhne auswirken. Weitere, aber weniger ausschlaggebende Faktoren sind ein durchschnittlich niedrigeres Bildungsniveau, und dass Frauen seltener Parteimitglieder sind. FĂŒr eine glĂ€serne Decke in Chinas Wirtschaft gibt es nur relativ schwache Belege. Zwar haben Frauen in China noch immer eine etwas kleinere Chance als MĂ€nner, in FĂŒhrungspositionen zu gelangen, allerdings ist die Lohndiskriminierung zwischen Frauen und MĂ€nnern am oberen Einkommensspektrum sehr viel geringer als unter den Niedriglohnverdiener*innen.
Genderspezifische Ungleichheit am chinesischen Arbeitsmarkt weist andere DisparitĂ€ten auf als im Westen. Zum Beispiel sind glĂ€serne Decken im Westen ein weitaus gröĂeres Problem und viel mehr als klebrige Böden fĂŒr die Lohndiskriminierung gegenĂŒber Frauen verantwortlich. MaĂgeblich dafĂŒr könnte sein, dass der chinesische Arbeitsmarkt fĂŒr Top-Positionen in der Wirtschaft jĂŒnger ist und sich schneller entwickelt hat als im Westen.
Wer regiert China (nicht)?
In der chinesischen Politik steht es jedoch wesentlich schlechter um die Frauen als in der Wirtschaft. WĂ€hrend heute in Taiwan und Hongkong Frauen an der Regierungsspitze stehen, gab es auf dem Festland bisher weder ein weibliches Staatsoberhaupt noch eine Frau im stĂ€ndigen Ausschuss des PolitbĂŒros.
Unter den Parteichefs der 31 Provinzen findet sich keine Frau und auch im 25-köpfigen PolitbĂŒro sitzt nur eine. Von 204 Mitgliedern des Zentralkomitees sind zehn weiblich und im Nationalen Volkskongress sind etwa ein Viertel der Abgeordneten weiblich. Hier erzielt auch der chinesische Global Gender Gap Index bei weitem das niedrigste Ergebnis (0,154).
China im Vergleich
Der Weg zur Gleichstellung der Geschlechter ist noch nicht zu Ende beschritten, weder in Europa noch in China oder anderen LĂ€ndern Ostasiens. China ist auf Rang 106 seinen NachbarlĂ€ndern SĂŒdkorea und Japan sogar voraus. SĂŒdkorea belegt Platz 108 und Japan sogar Rang 121. Das gendergerechteste Land Asiens sind die Philippinen (Platz 16), die damit noch vor Ăsterreich (Platz 34) liegen.