von Anna Linder
Dass in Japan Ironie nicht verstanden wird, ist ein weitverbreitetes Klischee, mit dem insbesondere Japanisch-Lernende früher oder später in Kontakt kommen. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn Ironie ist nicht gleich Ironie.
Wenn im österreichischen Sprachalltag von Ironie die Rede ist, bezieht sich dies zumeist auf die bereits aus der Antike stammende Definition „Das Gegenteil von dem beziehungsweise etwas anderes sagen, als man meint“.
Ein sehr einfaches Beispiel dafür wäre: Obwohl es wie aus Kübeln schüttet, sagt jemand: „Das Wetter heute ist ja ganz besonders toll“, verwendet dabei einen mäßig euphorischen Unterton und verzieht auch noch unglücklich das Gesicht. Was wir in Österreich meist sehr leicht als Ironie einordnen können, wird in Japan so eher nicht verstanden werden, da im Japanischen eine solche Anwendung einfach unüblich ist. Doch Ironie ist mehr als einfach nur „Das Gegenteil von dem sagen, was man meint.“
Es gibt verschiedene Anwendungsmöglichkeiten von Ironie und ebenso verschiedene Möglichkeiten, Ironie als solche zu identifizieren. Es existieren zum Beispiel bestimmte Signale, die auf Ironie hinweisen können (aber nicht müssen!), wie etwa ein Augenzwinkern, ein Schulterzucken oder das Verstellen der Stimme. Ironie kann humorvoll oder beißend sein, konflikthafte Situationen entspannen, Menschen einander näherbringen oder sie voneinander entfernen. Die unterschiedliche Wirkung, die eine ironische Aussage haben kann, wird vom jeweiligen Kontext bestimmt, in dem sie getätigt wird. Gemeint ist damit einerseits die konkrete Situation, in der Ironie angewandt wird, und die (stille) Übereinkunft aller, die an einem Gespräch teilnehmen, dass man über dasselbe Wissen über das Gespräch selbst, zu den daran Teilnehmenden und auch über den kulturellen Rahmen verfügt, in dem man sich aufhält.
Schönes Wetter: Wo das Problem liegt
Dieser kulturelle Rahmen ist in gewisser Weise auch das Problem in der interkulturellen Kommunikation. Oft gehen wir davon aus, dass ein bei uns so weit verbreitetes Phänomen, auch anderswo reibungslos verstanden wird. Nicht selten entstehen so allerdings Missverständnisse, wie das oben erwähnte Wetter-Beispiel zeigt. Bei diesem konkreten kommunikativen Irrtum ergeben sich zwar vermutlich keine weitreichenden zwischenmenschlichen Konsequenzen. Unangenehm kann es aber in folgenden Situationen werden: Es ist in Österreich nicht unüblich, sich mit „Das hast du aber gut gemacht“ über die Fähigkeiten einer anderen Person zu äußern und damit zu meinen, dass sie es alles andere als gut gemacht hat – allerdings muss das je nach Kontext nicht zwingend ausschließlich böse gemeint sein, sondern kann auch mit einem Augenzwinkern verstanden werden. In Japan hingegen stößt eine solche Aussage nicht nur die betroffene Person ordentlich vor den Kopf, sondern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zuhörende Dritte mehr als nur irritieren. Warum genau das so ist, ist noch nicht restlos geklärt. Vermutlich wird zwar durchaus verstanden, dass es sich wohl um das Gegenteil von dem handelt, was man meint, ein solcher Kommentar wird dann aber einfach als unnötig und gemein empfunden.
Welche Art von Ironie wird nun aber in Japan verstanden? Das sehen wir uns jetzt an.
Der Ironiebegriff in Japan – Eine Übersetzung
Zunächst einmal gibt es mehrere Möglichkeiten, auf Japanisch „Ironie“ zu sagen, allerdings meint man damit nicht unbedingt auch dasselbe wie im Deutschen. So gibt es einige Ausdrücke, die nur einen Teil dessen beschreiben, was wir unter Ironie verstehen. Das Wort hango umfasst zum Beispiel nur die Art Ironie, bei der das wörtliche Gegenteil von dem gesagt wird, was gemeint ist, während der Begriff atekosuri für die indirekte Kritik steht, die Ironie ausdrücken kann.
Nun gibt es aber auch zwei Wörter, die dem deutschsprachigen Ironieverständnis sehr nahekommen: hiniku und aironī, die zum Teil auch synonym verwendet werden. Dabei ist aironī ein Lehnwort aus dem Englischen (irony), wohingegen hiniku als Teil von hinku-kotsuzui seinen Ursprung in der buddhistischen Lehre des Daruma findet und dort für die absolute Einsicht steht. Dabei beschreibt hiniku (hi = Haut, niku = Fleisch) die äußere Beschaffenheit einer Sache, wohingegen kotsuzui (kotsu = Knochen, zui = Knochenmark) die Einsicht hinter die Fassade der Dinge darstellt. Heute ist von dieser Bedeutung freilich nicht mehr viel übrig: hiniku kann zwar theoretisch nach wie vor für „Haut und Fleisch“ oder „äußere Beschaffenheit“ stehen, sehr viel eher ist damit aber eine Form der indirekten Kritik (≙ atekosuri) oder „Ironie des Schicksals“ gemeint.
Welch Ironie!
Dass hiniku im japanischen Sprachgebrauch auch tatsächlich zu finden ist, zeigt beispielsweise die Populärkultur. So kommentiert im Anime „Jojo’s bizarre adventure: Phantom blood“ die Hauptfigur Jonathan Joestar das Ableben eines der Antagonisten, Bruford, dessen Seele nur durch seinen Tod gerettet werden konnte, mit „Nan to iu hiniku!“ (dt.: Welch Ironie!). Die japanische Sängerin Reol verwendet hingegen das Wort aironī in ihrem Lied „Boy“, um damit die Auswirkungen einer gescheiterten Liebesbeziehung zu beschreiben. Der Sänger Takada Wataru spricht zwar hiniku oder aironī nicht dezidiert aus, sein Lied „Jieitai ni hairō“ (dt. Tretet doch den Selbstverteidigungstruppen bei) enthält aber derart viele ironische Anspielungen – zum Beispiel, dass Japans Selbstverteidigungstruppen ideal für Männer seien, die Sport und Kriegsmaschinen mögen – dass es im japanischen Radio nicht mehr gespielt werden durfte, da die zuständigen Behörden befürchteten, dass Takadas Lied am Ende von der Bevölkerung ernstgenommen werden würde.
Hiniku findet sich aber auch im ganz normalen japanischen Sprachalltag und wird dort zum Beispiel benutzt, um indirekte Kritik zu äußern. Wenn sich etwa Kinder in der Öffentlichkeit schlecht benehmen und laut schreien, kann man durchaus auch auf Japanisch zu ihren Eltern sagen: „Sie haben ja liebe Kinder.“ Die Eltern werden den Appell dahinter – dass man es eigentlich gerne leise hätte – sehr wahrscheinlich problemlos verstehen. Es muss einem allerdings bewusst sein, dass man nach einer solchen Aussage in Japan auch nicht unbedingt als Sympathietragende*r dasteht. Eine andere Anwendungsmöglichkeit besteht darin, einen unglücklich geratenen Umstand im Sinne von Ironie des Schicksals zu beschreiben, wie „Ich wollte immer heiraten, aber als ich dann verheiratet war, stellte sich heraus, dass mir das Eheleben überhaupt nicht zusagt“. Solche Anwendungsmuster finden sich ganz offensichtlich auch bei uns – oder haben Sie die Ironie darin eben nicht verstanden?
Fazit: Und es gibt sie doch!
Die pauschale Behauptung, „die Japaner*innen verstehen ja gar keine Ironie“, ist so grundsätzlich einmal nicht richtig. Das japanische Ironieverständnis unterscheidet sich zwar in einigen Punkten vom deutschsprachigen: sowohl in der interkulturellen Alltagskommunikation als auch in der linguistischen Forschung in Japan finden sich Uneinigkeiten in der grundsätzlichen Frage, was Ironie eigentlich ist, wie sie angewandt und übersetzt wird. So werden einige Anwendungsmuster der im österreichischen Sprachalltag üblichen Ironie (etwa das Beispiel zum schönen Wetter) in Japan wohl eher auf Unverständnis stoßen. Nichtsdestotrotz finden sich Überschneidungspunkte und Gemeinsamkeiten in beiden Kulturkreisen, besonders dann, wenn irgendwo indirekte Kritik ausgedrückt werden soll.
Leider bleibt Ironie dennoch in vielen Fällen ein interkultureller Stolperstein, den aus dem Weg zu schaffen, sicherlich noch einiges an Zeit und Arbeit notwendig sein wird.