Sportland China?

Foto: schwarze Billardkugel auf grünem Textil von Alex Lion unter Unsplash Lizenz.

eine Analyse von Thomas Immervoll

Leistungssport ist ein wichtiges Instrument der Politik in China. Es geht darum, auf internationaler Ebene im Spitzensport mitzuhalten und, wenn möglich, die Wettkämpfe zu dominieren. Doch die Bilanz der letzten Jahre ist durchwachsen. Sportliche Erfolge blieben aus und Paradesportler*innen sind dünn gesät.

Mit zitternder Hand legte Ian Nepomniachtchi die Figur auf das Schachbrett. Damit war klar: Der neue Weltmeister hieß Ding Liren. Nach fast 140 Jahren gewann der erste Chinese die Schachweltmeisterschaft der Männer. Kurz vor Schluss stand es unentschieden, nachdem Ding zuvor mehrmals ausgleichen konnte. Danach rang der Chinese den Russen im Stechen nieder. Ding war ursprünglich nicht für das Turnier qualifiziert und wurde erst nachnominiert, als der seit 2013 amtierende Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen auf seine Teilnahme verzichtete.

Von Wettskandal gebeutelt

Schauplatzwechsel: Es war eine Sensation. Ursprünglich hatte sich der erst 20-jährige Si Jiahui gar nicht für das Hauptturnier der Snooker Weltmeisterschaften im altehrwürdigen Crucible Theatre im englischen Sheffield qualifiziert. Er musste erst drei Runden des Qualifikationsturniers überstehen, um im Hauptbewerb antreten zu können. Dort schlug er den klar favorisierten Engländer Shaun Murphy knapp. Am Ende erreichte Si das Halbfinale, wo er dem späteren Weltmeister, dem Belgier Luca Brecel, unterlag.

In China hatte der Snooker-Sport in den vergangenen Jahren einen Boom hingelegt. Nach einem Wettskandal Ende des vergangenen Jahres ist der Sport aber schwer gebeutelt: Zehn chinesische Profis sind gesperrt, andere etablierte Spieler wie der ehemalige Weltranglisten-Erste Ding Junhui sind nicht in Topform. Der Erfolg von Si Jiahui ist Balsam auf der Seele chinesischer Snookerfans, doch täuscht er nicht über die Krise des Sports hinweg.

Die Rolle chinesischer Sportler*innen

China wurde in den vergangenen Jahrzehnten ein Sportland von internationalem Format. Die Olympischen Spiele in Beijing 2022 zeigten, dass chinesische Athlet*innen in der Lage sind, so viele Medaillen wie noch nie zu erringen. Gleichzeitig wurde klar, dass das Leistungsniveau in vielen Sportarten nicht ausreicht, um die Erwartungen von Sponsor*innen und Publikum zu erfüllen. In den meisten Disziplinen im Ski- und Snowboardsport waren chinesische Athlet*innen nicht konkurrenzfähig.

Eine Ausnahme war die Freestyle-Schifahrerin Eileen Gu, die gleich zweimal Gold für China gewann. Sie wurde 2003 in den USA geboren und startet erst seit 2019 für China. Sie wohnt weiterhin in San Francisco. Auch vier Jahre nach Annahme der chinesischen Staatsbürger*innenschaft ist sie in der chinesischen Öffentlichkeit umstritten, wie einige der Kommentare zu ihrem Posting zu den Laureus Sports Awards 2023 zeigen. Gleichzeitig ist sie als wichtige Werbeträgerin für westliche Luxusmarken und ihren österreichischen Kopfsponsor besonders nützlich für den chinesischen Markt.

Fußballmacht China?

„Ich bin ein Fußballfan“, verkündete einst der chinesische Präsident Xi Jinping. Xi initiierte 2015 einen 50-Punkte-Aktionsplan für Chinas Fußball. Es war ein Anschub für eine nationale Kraftanstrengung, um China international konkurrenzfähig zu machen. Fußball war ein Symbol für die steigende Bedeutung Chinas in der Welt.

Man förderte den Nachwuchs, engagierte internationale Stars für die nationale Profiliga und beteiligte sich an großen europäischen Klubs. Geld spielte jahrelang keine große Rolle. So verdiente der Argentinier Carlos Tévez bei Shanghai Shenhua angeblich 109.589 Euro am Tag.

Doch die großen Erfolge blieben aus. Während die chinesische Frauen-Nationalmannschaft bereits 1991 das WM-Viertelfinale erreichte und auch für die Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland qualifiziert ist, verpassten die Männer klar die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2022 in Qatar. In den deutschen Profiligen sucht man vergeblich nach Legionären aus der Volksrepublik. Für ausländische Investor*innen hat der chinesische Markt deutlich an Attraktivität eingebüßt.

Fokus auf Randsportarten?

Die Zero-COVID-Politik der chinesischen Führung machte die Sache nicht einfacher. Sportler*innen konnten lange Zeit kaum reisen, immer noch werden Großevents abgesagt. Zuletzt traf es die Formel 1. Der Große Preis von China in Shanghai wird auch 2023 nicht stattfinden. Dabei fährt seit 2022 mit Zhou Guanyu erstmals ein chinesischer Fahrer in der höchsten Klasse des vierrädrigen Motorsports. Sein Team Alfa Romeo Racing hat dabei auch Sponsoringgelder aus China im Sinn.

In anderen finanzstarken Sportarten wie Golf oder Tennis sind in den Top 50 der Welt zumindest bei den Männern keine Athleten aus China zu finden. Besser ist die Situation im weniger prestigeträchtigen Frauentennis. Die erst 20-jährige Zheng Qinwen befindet sich auf Platz 24 der Weltrangliste, Zhang Shuai auf Platz 28. Mit Zhu Lin auf Platz 38 ist noch eine dritte Chinesin unter den Top 50.

Noch 2008 führte China den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in Beijing an. Das gelang seither nicht mehr. Auch deshalb liegt der Fokus auf weniger prestigeträchtige Sparten auf der Hand. Die chinesische Dominanz etwa im Tischtennis oder im Wasserspringen ist ungebrochen.

Sportidole spielen beim Aufstieg Chinas zur Weltmacht eine große Rolle. „Ich denke, es wird viele junge Leute in China inspirieren, Schach zu spielen“, so Ding Liren nach seinem historischen Sieg. Doch die Lücke, die die Top-Sportarten im chinesischen Sport hinterlassen, werden Snooker und Schach nicht füllen können.