Tantchen Suns Kissen macht China grüner

Ein Eingang in Dongpingxiang Foto: Chen Lo

Von Falko Loher

Im Zentrum von Hangzhou erlangt ein vorwiegend von Pensionärinnen bewohntes Viertel nationale Aufmerksamkeit. Rüstige Rentnerinnen schrauben an Ventilatoren, schneidern Taschen aus alten Jeans oder funktionieren Pflanzen zu Vorhängen um. Das Nachhaltigkeitsprojekt in Dongpingxiang zeigt: China geht originelle Wege, um das Bewusstsein der Bürgerinnen für den Klimaschutz zu wecken.

China steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe. Im Jahr 2006 überholte die Volksrepublik die USA als weltgrößte Klimasünderin. Derzeit stammt etwa ein Viertel der weltweiten Emissionen aus China. Seit Ende der 1990er Jahre wurden zwar zahlreiche Gesetze in verschiedenen Politikfeldern erlassen und massiv in Bereichen wie Energieeffizienz oder regenerative Energien investiert. Doch zeigt sich an Beispielen wie der Förderung von Kohle als Energieträger oder dem Bau emissionsintensiver Vororte, dass in China noch immer ein ambivalentes Verständnis von Klimaschutz vorherrscht. Die Regierung ist sich allerdings bewusst, dass dauerhafte Emissionsreduktionen nur mit einem Umdenken der Gesellschaft einher gehen können und sucht im Rahmen von Pilotprojekten nach alternativen Wegen Bewusstsein für den Klimaschutz bei der Bevölkerung zu wecken.

Ein Beispiel für ein derartiges Projekt ist das Dongpingxiang Low Carbon Projekt in Hangzhou an Chinas Ostküste. Etwa zwei Drittel der knapp zweitausend Bewohnerinnen sind rüstige Pensionärinnen und wohnen bereits ihr gesamtes Leben in diesem Viertel. Lokale Politikerinnen haben hier gemeinsam mit den Bewohnerinnen eines der bekanntesten kommunalen Klimaschutzprojekte Chinas ins Leben gerufen. Sie stellen sich mit großem Enthusiasmus und Hingabe auf ein kohlenstoffarmes Leben um. Dies umfasst Änderungen im Fleischkonsum, beim Wasser- und Energieverbrauch, in der Mülltrennung, aber auch beim Verkehr. Viele dieser Umstellungen haben weitere positive Auswirkungen auf Lebensbereiche wie Gesundheit und Ernährung. So verpflichten sich viele Familien beispielsweise einmal pro Woche vegetarisch zu essen, an zwei Tagen der Woche auf das Auto zu verzichten oder den Haushaltsmüll rigoros zu trennen.

Doch das Projekt geht weit über festgelegte Regelungen hinaus: Die Bürgerinnen wurden aufgefordert, eigene Ideen für die Vermeidung von CO2-Emissionen einzubringen. Bis zu 700 Tipps für ein kohlenstoffärmeres Leben sammelten die Rentnerinnen innerhalb eines Jahres. So bastelte Frau Wang beispielsweise einen Vorhang aus Schlingpflanzen, der CO2 absorbiert. Frau Rong bewahrt ihre Medizin in einer recycelten Keksdose mit Schubladen und Metallgriffen auf und Frau Sun fertigte aus getrockneten Teeblättern und alten Stoffresten ein grünes Kissen, welches nicht nur der Umwelt nützt, sondern auch eine Allzweckwaffe gegen schlaflose Nächte ist. Frau Sun ist 69 Jahre alt und wird von allen Bewohnerinnen nur Tantchen Sun genannt. Sie gilt aus Pionierin der nachhaltigen Basteleien und ist weit über Hangzhous Stadtgrenzen bekannt. Ihre Energiespartipps haben nicht nur ihr, sondern auch zahlreichen Nachbarinnen viel Geld und Emissionen gespart. Tipps zu sammeln und Regeln einzuhalten werden im Rahmen eines Wettbewerbs belohnt. Führen Familien täglich Tagebuch über ihre Aktivitäten und sammeln sie so genügend Punkte, können sie von einer Jury zu einer Modellfamilie gekürt werden.

Mobilisierungskampagnen wie diese in Hangzhou sind in China nichts Neues. Das Land verfügt über eine reiche und lebhafte Geschichte an Kampagnen. Seit Gründung der Volksrepublik prägen sie das tägliche Leben der chinesischen Bevölkerung. Ein wesentlicher Unterschied zeigt sich heutzutage darin, dass sie weniger stark durch Zwang und Sanktionen gekennzeichnet sind, sondern auf freiwillige Teilnahme basieren und den Bewohnerinnen Freiheit und Eigeninitiative bei der Durchführung lassen. Sie setzen den Wettbewerb unter den Bürgerinnen in den Mittelpunkt und schaffen so Anreize und Vorbilder. „Mein Eindruck ist, dass es hierbei eher um Wissensvermittlung zu Klimaschutz geht, als um das Klima an sich“ sagt Nikolaj Blichfeldt, Doktorand an der Universität Kopenhagen, der sich intensiv mit dem Projekt beschäftigt. „Nur wenige Bürger und Offizielle, die ich interviewte, sprachen direkt über den Klimawandel. Jedoch wurde sehr viel über kohlenstoffarme Lebensweise und die Verknüpfung mit anderen Bereichen wie Gesundheit, Wirtschaft oder Lebensqualität gesprochen“.

Offizielle wählen also mit diesem Projekt einen indirekten Zugang, um Chinas Bürgerinnen das Thema Klimaschutz näher zu bringen. Sicherlich garantiert dies keine direkten Auswirkungen auf das Konsumverhalten der chinesischen Bevölkerung und somit keine direkten Emissionsreduktionen. Dennoch verbindet diese Methode die Thematik Klimaschutz eng mit dem Alltag der Bürgerinnen. Sie betont die positiven Aspekte kohlenstoffarmer Lebensweisen anstelle der negativen Einflüsse globaler Erwärmung. Tantchen Suns Kissen soll so also ein entscheidender Baustein einer nachhaltigeren Zukunft Chinas sein.