Von Clemens Schweizer
Nach dem Sturz des Parteisekretärs Bo Xilai im März 2012 machte die chinesische Regierung mit der Verschärfung der Internetzensur auf sich aufmerksam. Unter anderem wurde Weibo, das chinesische Pendant zu Twitter, unter strengere Kontrolle gestellt und alle Suchanfragen zu Bo Xilai gesperrt.
Nach der Absetzung des ehemaligen Anwärters auf einen Platz im ständigen Ausschuss des Politbüros hatten Gerüchte über einen Militärputsch und politische Unruhen in Chinas größtem Microbloggingdienst die Runde gemacht. Die chinesische Regierung ließ daraufhin nicht nur die Onlinezensur verschärfen, sondern auch sechs Personen, denen die Verbreitung von Gerüchten vorgeworfen wird, verhaften.
Seit Weibo im Jahr 2009 vom chinesischen Internetunternehmen Sina gegründet wurde, ist die chinesische Regierung unsicher, wie sie mit dem Phänomen des Microbloggings umgehen soll. Während Twitter in China gesperrt ist, schießen die Nutzerzahlen von Weibo in die Höhe. Sina selbst beziffert die Anzahl der User mit 300 Millionen. Immer wieder stellte der Kurznachrichtendienst Ausgangspunkt für Debatten über gesellschaftliche Missstände oder für Kritik an der Regierung dar, so zum Beispiel auch nach dem Zugunglück von Wenzhou im Juli 2011. Die intransparente Informationspolitik und das mangelhafte Katastrophenmanagement nach dem Unfall, bei dem 40 Menschen starben und mindestens 190 verletzt wurden, lösten eine landesweite Empörung aus, die vor allem auf Weibo intensiv vorgebracht wurde. Überraschenderweise ließ die Regierung die Kritik größtenteils ungefiltert zu und entließ den Eisenbahnminister und drei weitere Ministerialbeamte.
Mit der wachsenden Popularität von Weibo wird Microblogging für die chinesische Bevölkerung zunehmend zu einem Instrument zur Kontrolle der Regierung und einem Ventil zur politischen Meinungsbildung. Zudem mussten bereits einige der Korruption überführten Lokalpolitiker zurücktreten, nachdem auf deren Fehlverhalten in Microblogs aufmerksam gemacht wurde, so wie auch im Fall des für Arbeitssicherheit zuständigen Funktionärs Yang Dacai aus der Provinz Shaanxi. Weibo-Nutzer stellten eifrig Fotos ins Netz, auf denen er mit teuren Uhren zu sehen ist. Insgesamt 11 Uhren mit einem Schätzwert von RMB 300,000 bis 500,000 konnten die Blogger auf diversen Fotos ausmachen. In der Folge wurde Yang Dacai aus der KPCh entlassen.
Große internationale Beachtung fand Weibo nach dem Tod von Yue Yue im Oktober 2011. Nachdem die 2-jährige von einem Auto überfahren worden war, gingen 18 Passanten ungerührt an ihr vorbei. In Folge beschäftigten sich 4,5 Millionen Weibo-Einträge mit dem tragischen Tod des Mädchens aus Guangdong und es entstand eine landesweite Debatte über Werte im China des 21. Jahrunderts. Im Internet diskutierte man hitzig über die Frage, ob das Wirtschaftswachstum nach Reform und Öffnung zu einem zunehmenden Egoismus und dadurch auch zu einer moralischen Verrohung der chinesischen Gesellschaft geführt habe. Einflussreiche KPCh-Mitglieder griffen die Diskussion auf und unterstützten die Forderung von Intellektuellen nach einem Gesetz, das unterlassene Hilfeleistung unter Strafe stellt. Auch wenn es bisher nicht umgesetzt wurde, zeigt dieses Beispiel, wie wichtig Weibo als Plattform für Regierungskritiker geworden ist.
Obwohl die Berichte um einen Militärputsch offensichtlich haltlos waren, reagierte die chinesische Regierung sehr nervös auf die Gerüchte. Hongkonger Medien berichteten, dass die Beschränkungen, die eine dreitägige Sperre der Kommentarfunktionen von Weibo und der zweitgrößten Microblog-Webseite QQ Tencent einschlossen, selbst für chinesische Verhältnisse sehr rigoros seien. Vor allem in Hinblick auf den Führungswechsel an der Partei- und somit auch Staatsspitze im Herbst 2012, möchte die chinesische Regierung das Bild einer geschlossenen Führung nicht gefährdet sehen.