Von Thomas Immervoll und Falko Loher
China steht unmittelbar vor einem Verkehrskollaps. Besonders in Beijing zeigt sich das deutlich: Giftige Smogwolken, Hundert-Kilometer-Staus und Unfälle bringen die Hauptstadt an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Die Regierung setzt neben kurzfristigen Maßnahmen vor allem auf den Ausbau des Bus- und U-Bahn-Systems. Darüber hinaus soll nun ein außergewöhnliches Verkehrsmittel Abhilfe schaffen. So könnte man den Spagat zwischen Kostenersparnis und Verkehrsverbesserung schaffen.
In 2,5 Metern Höhe schweben mehr als 1.300 Menschen über den Straßen der chinesischen Hauptstadt Beijing. Das elektrisch betriebene Fahrzeug wird von Schienen am Straßenrand getragen. Unter ihm fahren Autos, Lkws und Motorräder hindurch. Die Haltestellen sind durch eine Dachluke erreichbar. Dabei handelt es sich nicht um ein Gefährt aus einer fernen Zukunft. Der „Straddling Bus“ ist in China bereits Realität und soll schon ab Ende dieses Jahres in Beijing eingesetzt werden.
Im Sommer 2010 erlebte Beijing sein bisher größtes Verkehrschaos. Mehr als eine Woche lang standen Autofahrerinnen in einem Megastau von hundert Kilometern Länge. Das zeigte den Behörden die brenzlige Verkehrssituation auf Chinas Straßen. In weniger als fünf Jahren wird die Zahl zugelassener Fahrzeuge von 4,5 auf bis zu sieben Millionen in die Höhe schießen, gleichzeitig verschwinden Fahrräder von den Straßen. Ihre Zahl nahm in den letzten fünf Jahren um die Hälfte ab. Laut Guo Jifu, Direktor der Nationalen Forschungsstelle für Transport, sind die Einwohnerinnen Beijings vor allem für Kurzstrecken auf das Auto umgestiegen. Vierzig Prozent legen weniger als fünf Kilometer pro Fahrt zurück. Durch gezielte Anreize und Infrastrukturmaßnahmen, wie mehr Fahrradwege oder Leihradsysteme, soll den Einwohnerinnen der Umstieg auf andere Verkehrsmittel leichter fallen. Ziel ist es, die Anzahl der Radfahrerinnen in der Hauptstadt innerhalb der nächsten fünf Jahre um 25 Prozent zu steigern.
Nach dem Verkehrschaos des letzten Jahres plant die Regierung eine weitere Ausbauwelle im Verkehr, um Bewohnerinnen der Vororte die Fahrt ins Stadtinnere zu erleichtern. So sollen die äußeren Ringe und Pendlerinnenstraßen entlastet werden. Diverse Projekte wurden aus dem 13. in den 12. Fünfjahresplan vorgezogen, um weitere hundert Kilometer Streckennetz bis 2015 zu realisieren.
Die chinesische Regierung sucht nach Lösungen, die sich mit dem engen Raumangebot vereinbaren lassen. Der „Straddling Bus“ ist hierbei ein Ansatz, der Menschen in die öffentlichen Verkehrsmittel holt. „Die größten Vorteile des Buses sind die Einsparung an Straßenraum, seine Effektivität und die hohen Kapazitäten“, sagt sein Erfinder Song Youzhou bei der Präsentation des Projektes. Bereits Ende dieses Jahres soll im Bezirk Mentougou ein Pilotprojekt mit 186 Kilometer Streckennetz in Betrieb gehen. Die Behörden versprechen sich außerdem einen deutlichen Rückgang von CO2-Emissionen durch die Nutzung von Solarenergie beim Betrieb des Busses. Die wichtigste Eigenschaft ist für die Regierung jedoch der vorausgesagte Rückgang von Verkehrsstaus um bis zu 30 Prozent. Somit erscheint der „Straddling Bus“ als einer der vielversprechendsten Lösungsansätze, um den Spagat in Chinas Verkehrspolitik zu schaffen.