eine Analyse von Thomas Immervoll
Leistungssport ist ein wichtiges Instrument der Politik in China. Es geht darum, auf internationaler Ebene im Spitzensport mitzuhalten und, wenn möglich, die WettkĂ€mpfe zu dominieren. Doch die Bilanz der letzten Jahre ist durchwachsen. Sportliche Erfolge blieben aus und Paradesportler*innen sind dĂŒnn gesĂ€t.
Mit zitternder Hand legte Ian Nepomniachtchi die Figur auf das Schachbrett. Damit war klar: Der neue Weltmeister hieĂ Ding Liren. Nach fast 140 Jahren gewann der erste Chinese die Schachweltmeisterschaft der MĂ€nner. Kurz vor Schluss stand es unentschieden, nachdem Ding zuvor mehrmals ausgleichen konnte. Danach rang der Chinese den Russen im Stechen nieder. Ding war ursprĂŒnglich nicht fĂŒr das Turnier qualifiziert und wurde erst nachnominiert, als der seit 2013 amtierende Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen auf seine Teilnahme verzichtete.
Von Wettskandal gebeutelt
Schauplatzwechsel: Es war eine Sensation. UrsprĂŒnglich hatte sich der erst 20-jĂ€hrige Si Jiahui gar nicht fĂŒr das Hauptturnier der Snooker Weltmeisterschaften im altehrwĂŒrdigen Crucible Theatre im englischen Sheffield qualifiziert. Er musste erst drei Runden des Qualifikationsturniers ĂŒberstehen, um im Hauptbewerb antreten zu können. Dort schlug er den klar favorisierten EnglĂ€nder Shaun Murphy knapp. Am Ende erreichte Si das Halbfinale, wo er dem spĂ€teren Weltmeister, dem Belgier Luca Brecel, unterlag.
In China hatte der Snooker-Sport in den vergangenen Jahren einen Boom hingelegt. Nach einem Wettskandal Ende des vergangenen Jahres ist der Sport aber schwer gebeutelt: Zehn chinesische Profis sind gesperrt, andere etablierte Spieler wie der ehemalige Weltranglisten-Erste Ding Junhui sind nicht in Topform. Der Erfolg von Si Jiahui ist Balsam auf der Seele chinesischer Snookerfans, doch tĂ€uscht er nicht ĂŒber die Krise des Sports hinweg.
Die Rolle chinesischer Sportler*innen
China wurde in den vergangenen Jahrzehnten ein Sportland von internationalem Format. Die Olympischen Spiele in Beijing 2022 zeigten, dass chinesische Athlet*innen in der Lage sind, so viele Medaillen wie noch nie zu erringen. Gleichzeitig wurde klar, dass das Leistungsniveau in vielen Sportarten nicht ausreicht, um die Erwartungen von Sponsor*innen und Publikum zu erfĂŒllen. In den meisten Disziplinen im Ski- und Snowboardsport waren chinesische Athlet*innen nicht konkurrenzfĂ€hig.
Eine Ausnahme war die Freestyle-Schifahrerin Eileen Gu, die gleich zweimal Gold fĂŒr China gewann. Sie wurde 2003 in den USA geboren und startet erst seit 2019 fĂŒr China. Sie wohnt weiterhin in San Francisco. Auch vier Jahre nach Annahme der chinesischen StaatsbĂŒrger*innenschaft ist sie in der chinesischen Ăffentlichkeit umstritten, wie einige der Kommentare zu ihrem Posting zu den Laureus Sports Awards 2023 zeigen. Gleichzeitig ist sie als wichtige WerbetrĂ€gerin fĂŒr westliche Luxusmarken und ihren österreichischen Kopfsponsor besonders nĂŒtzlich fĂŒr den chinesischen Markt.
FuĂballmacht China?
âIch bin ein FuĂballfanâ, verkĂŒndete einst der chinesische PrĂ€sident Xi Jinping. Xi initiierte 2015 einen 50-Punkte-Aktionsplan fĂŒr Chinas FuĂball. Es war ein Anschub fĂŒr eine nationale Kraftanstrengung, um China international konkurrenzfĂ€hig zu machen. FuĂball war ein Symbol fĂŒr die steigende Bedeutung Chinas in der Welt.
Man förderte den Nachwuchs, engagierte internationale Stars fĂŒr die nationale Profiliga und beteiligte sich an groĂen europĂ€ischen Klubs. Geld spielte jahrelang keine groĂe Rolle. So verdiente der Argentinier Carlos TĂ©vez bei Shanghai Shenhua angeblich 109.589 Euro am Tag.
Doch die groĂen Erfolge blieben aus. WĂ€hrend die chinesische Frauen-Nationalmannschaft bereits 1991 das WM-Viertelfinale erreichte und auch fĂŒr die Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland qualifiziert ist, verpassten die MĂ€nner klar die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2022 in Qatar. In den deutschen Profiligen sucht man vergeblich nach LegionĂ€ren aus der Volksrepublik. FĂŒr auslĂ€ndische Investor*innen hat der chinesische Markt deutlich an AttraktivitĂ€t eingebĂŒĂt.
Fokus auf Randsportarten?
Die Zero-COVID-Politik der chinesischen FĂŒhrung machte die Sache nicht einfacher. Sportler*innen konnten lange Zeit kaum reisen, immer noch werden GroĂevents abgesagt. Zuletzt traf es die Formel 1. Der GroĂe Preis von China in Shanghai wird auch 2023 nicht stattfinden. Dabei fĂ€hrt seit 2022 mit Zhou Guanyu erstmals ein chinesischer Fahrer in der höchsten Klasse des vierrĂ€drigen Motorsports. Sein Team Alfa Romeo Racing hat dabei auch Sponsoringgelder aus China im Sinn.
In anderen finanzstarken Sportarten wie Golf oder Tennis sind in den Top 50 der Welt zumindest bei den MÀnnern keine Athleten aus China zu finden. Besser ist die Situation im weniger prestigetrÀchtigen Frauentennis. Die erst 20-jÀhrige Zheng Qinwen befindet sich auf Platz 24 der Weltrangliste, Zhang Shuai auf Platz 28. Mit Zhu Lin auf Platz 38 ist noch eine dritte Chinesin unter den Top 50.
Noch 2008 fĂŒhrte China den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in Beijing an. Das gelang seither nicht mehr. Auch deshalb liegt der Fokus auf weniger prestigetrĂ€chtige Sparten auf der Hand. Die chinesische Dominanz etwa im Tischtennis oder im Wasserspringen ist ungebrochen.
Sportidole spielen beim Aufstieg Chinas zur Weltmacht eine groĂe Rolle. âIch denke, es wird viele junge Leute in China inspirieren, Schach zu spielenâ, so Ding Liren nach seinem historischen Sieg. Doch die LĂŒcke, die die Top-Sportarten im chinesischen Sport hinterlassen, werden Snooker und Schach nicht fĂŒllen können.