Mauer der Demokratie: Vergessene chinesische Zeitgeschichte

Helmut Opletal Foto: Helmut Opletal

Interview
von Thomas Immervoll

Dr. Helmut Opletal beschäftigte sich als Journalist viele Jahre mit China. Erstmals ging er 1980 als Korrespondent für das ORF Radio nach Beijing. In einem aktuellen Forschungsprojekt arbeitet er zum Pekinger Frühling, einer kurzen Phase der Demokratiebewegung in China Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre.

dasReispapier: Herr Opletal, der Pekinger Frühling fällt in eine Phase des politischen Umbruchs in China. Worum geht es in Ihrem Projekt?

Helmut Opletal: Während dieser Phase der Öffnung im China der Nach-Mao-Ära konnte man über viele Dinge relativ offen reden. Ich war 1979 für zwei Monate in China und 1980 als Journalist in Peking und lernte damals einige der Akteure persönlich kennen. Für dieses Projekt treffe ich sie und andere Akteure von damals und frage ihre Erinnerungen ab.

Mittels Gesprächen mit Beobachtern möchte ich die Ereignisse von damals einordnen. Wie gingen offizielle Stellen mit dieser Bewegung um? Gab es Berührungspunkte zwischen den einzelnen? Gab es Beeinflussungen? Wie kam es zur Entscheidung, viele der Akteure zu verhaften und zu langjährigen Gefängnisstrafen zu verurteilen?

Es wird eine Nachbetrachtung der Ereignisse nach 35 Jahren. Die meisten Akteure sind jetzt um die 70. Ich habe festgestellt, dass sie sehr begierig sind, ihre Erinnerungen von damals zu erzählen.

Sie veröffentlichen Texte und Interviews online. An wen richtet sich diese Website?

Die Website richtet sich an alle, die sich für dieses Thema interessieren oder interessieren lassen. Das sind in erster Linie Sinologinnen und Sinologen, und Chinainteressierte, die sich auch mit dieser politischen Zeitgeschichte beschäftigen.

In Europa haben wir als Parallele die Dissidentenbewegung in Osteuropa in der Sowjetunion in den 1970er, 80er Jahren, die dann bis hin zur großen Wende 1989. Dazu gibt es relativ viel und das ist für viele noch in Erinnerung. In China jedoch nicht. Daher möchte ich Leute dafür interessieren und das Thema noch einmal aufarbeiten, nachfragen, nachforschen, was vielleicht auch an neuen Erlebnissen, neuen Details und Erinnerungen zu finden ist.

Sie haben diese Zeit selbst in China erlebt. Welche Stimmung herrschte damals im Land?

Es herrschte große Aufbruchstimmung. Mao war 1976 gestorben. Es dauerte zwei Jahre, bis der Erneuerungsprozess in Gang kam. Es gab eine Übergangszeit unter Hua Guofeng, in der noch viele von den alten Funktionären an der Macht waren. Deng Xiaoping kam erst fast ein Jahr nach Maos Tod wieder in die aktive Politik zurück. Unter dem Schlagwort „Reform und Öffnung“ wurde ein landesweiter Nachdenkprozess in Gang gesetzt. Das betraf zunächst vor allem die Wirtschaft. Zuerst die Landwirtschaft, in der man die großen Kollektive auflöste und zur Einzelinitiative oder zur kleinräumigen Initiative zurückkehrte.

Dem folgte Liberalisierung, Entstaatlichung und die Suche nach Auslandskontakten für die Akquirierung von Auslandsinvestitionen. Die Aufbruchstimmung umfasste viele Bereiche. Demokratisierung, Menschenrechte, Liberalisierung waren Themen, die zum ersten Mal diskutiert werden konnten. Es war nicht eine Massenbewegung wie 1989. Trotzdem fügte sich diese Stimmung in dieses generelle Nachdenken über die Gesellschaft ein. Über den Weg, wie die chinesische Gesellschaft gehen sollte. Auch für die Kommunistische Partei waren viele Entscheidungen noch nicht gefällt.

Wer waren diese Aktivistinnen und was waren ihre Forderungen?

Ich konnte zwei wichtige Gruppen identifizieren. Die eine bestand aus Leuten, die zum Teil aus kommunistischen Familien kamen und die auch selbst in der Kulturrevolution bei Organisationen der Roten Garden aktiv waren. Sie befanden, dass Mao die idealistische Bewegung verraten hatte und die Ideale einer gerechteren Gesellschaft nicht umsetzte.

Diese Leute engagierten sich teils schon 1976 in der Tiananmen-Bewegung gegen die Viererbande (Vertreter des Regimes zu Zeiten der Kulturrevolution, die nach dem Tod Maos für das Scheitern der Politik der 60er und 70er Jahre zur Verantwortung gezogen wurden, Anmerkung der Redaktion) engagiert. Es war die unzufriedene junge Generation, die schon in der Kulturrevolution rebelliert hatte und sich damals vielleicht verführen ließ und nun wieder einen Weg suchte, um das Gesellschaftssystem zu erneuern.

Die andere Gruppe waren Menschen aus Familien, die schon unter Mao aus verschiedenen Gründen politisch verfolgt wurden. Darunter befanden sich Kinder von Generälen unter Chiang Kai-shek (Politischer und militärischer Führer der Republik China. 1949 floh er mit seiner Gefolgschaft nach Taiwan und baute dort eine Republik auf, Anm.), die in den 50er Jahren von den Kommunisten hingerichtet wurden.

Viele dieser Menschen konnten nicht studieren und verloren ihre Arbeitsplätze. Häufig kamen diese Familien während der politischen Kampagnen der 50er und 60er Jahre unter die Räder und wurden während der Kulturrevolution an den Pranger gestellt. Sie waren eher antikommunistisch eingestellt und wollten westliche Ideen von Demokratie, Menschenrechten nach China bringen. Viele hätten auch ein Mehrparteiensystem oder ein Ende der Kommunistischen Ein-Parteien-Herrschaft begrüßt.

Davon gab es nach der Kulturrevolution nicht so viele…

Nein, das war die Generation, in der Leute durch die Kulturrevolution oft keine Möglichkeit hatten, eine höhere Schulbildung zu erlangen. In diese zweite Gruppe habe ich auch jene künstlerisch-literarisch Tätigen einbezogen, die sich mit dieser politischen Bewegung in irgendeiner Weise verbunden fühlten. Das waren im Grunde zwei relativ kleine Gruppierungen.

Eine scharte sich um die Zeitschrift „Jintian“ („Heute“). Prominente Lyriker wie Bei Dao, Shu Ting und andere schrieben und waren auch führend dabei. Künstler aus der Xingxing-Gruppe, also „Die Sterne“, kämpften darum, eine eigenständige und unabhängige Ausstellung zu machen. Alle waren Autodidakten, niemand hatte im staatlichen Kunstakademiesystem gelernt. Sie setzten sich für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks ein und verbündeten sich mit den politischen Aktivisten.

Was waren die Forderungen dieser Gruppen?

Speziell den Literaten und Künstlern ging es um Freiheit des künstlerischen Ausdrucks abseits des sozialistischen Realismus. Allgemein ging es um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Grundrechte, bürgerliche Rechte, Demokratisierung und Schutz vor Willkür. Es gab auch die Forderung nach einem Mehrparteiensystem, aber nicht alle haben diese erhoben.

Eine Fraktion der Demokratiebewegung dachte eher an eine Reform des sozialistischen Systems, an ein Modell wie das jugoslawische, das sie aber nicht wirklich kannten. Es hätte ein demokratisches System werden sollen, das aber von der KP geführt wird.

Die Forderung nach ökonomischer Liberalisierung wurde schnell obsolet, weil die Regierung sie ohnehin umsetzte. Man forderte aber auch offene internationale Beziehungen mit den westlichen Ländern.

Angeprangert wurden der Bürokratismus, also die Herrschaft der Funktionäre, und dazu auch Privilegien und Bereicherungen dieser Funktionäre. China war damals noch eine Mangelgesellschaft. Produkte des täglichen Bedarfs waren rationiert. Die Funktionäre hatten besseren Zugang zu diesen Produkten, und das war den Leuten bewusst.

Am Anfang wurde auch Rehabilitierung von Opfern der Kampagnen der Mao-Ära gefordert, die in entlegene Gebiete deportiert und denen Wohnung und Arbeitsplatz weggenommen wurden.

Ich erinnere mich an Fotos und kleine Videos von Demonstrationen Ende ’78, Anfang ’79. Slogans von Bittstellern enthielten drei Dinge: Demokratie, Menschenrechte, nicht drangsaliert werden. An einer anderen Stelle ging es auch gegen Hunger…

…gegen Hunger?

…gegen Hunger, den Menschen litten, die aus den ländlichen Gebieten in die Städte gekommen sind. In Shanghai etwa protestierten Menschen, die sozial in der Luft hingen und um Rehabilitation kämpften.

In Peking hatte ich 1979 erlebt, wie tausende Menschen im Stadtzentrum campierten. Im Hauptkommissariat von Beijing hat man sich ihre Dossiers angeschaut und entschieden, wer wieder zurück in die Stadt darf und und seinen Arbeitsplatz zurückbekommt. Es war ein langer Prozess und es waren sehr armselige Camps in der Nähe des Tiananmen-Platzes.

Kann man bei so einer Unmenge an Forderungen, bei so einer breiten Bewegung, eigentlich von einer einheitlichen Demokratiebewegung sprechen?

Es ist natürlich eine vereinfachende und plakative Bezeichnung, die auch Anfang 1979 von den Aktivisten geprägt und verwendet wurde. Ich glaube, man kann es durchaus so bezeichnen, denn die meisten Forderungen zielten in Richtung einer Demokratisierung. Bürgerrechte, Meinungs- und Pressefreiheit waren schon zentrale Forderungen, eigentlich für alle…

…eine Demokratisierung unter der Kommunistischen Partei?

Da waren nicht alle einverstanden. Die einen meinten, dass man langsame Reformen des kommunistischen Systems durchführen muss. Andere, wie Wei Jinsheng, haben es radikaler verstanden und haben gesagt, dass die Kommunistische Partei für einen völligen Neuanfang endlich weg muss.

Sie sagen, es gab auch Kontakte zu und Einflüsse von politischen Eliten? Wie war das zu verstehen?

Das war etwas komplex. Ende ’78, Anfang ’79 gab es in der KP einen so genannten Reformflügel. Er wurde zum Teil von Deng Xiaoping unterstützt, ist aber nicht ident mit seiner Person oder mit seinem Umfeld zu sehen. Diese Fraktion hat sich stark aus dem Kommunistischen Jugendverband heraus gebildet.

Im Umfeld von Hu Yaobang (Reformpolitiker, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas bis 1986), aber auch dem anderer Funktionäre, die unter Mao verfolgt worden waren und die jetzt wieder in politische Ämter zurück kamen, bildete sich eine informelle, interne Reformbewegung.

Diese Leute sympathisierten mit den weniger radikalen Teilen der Demokratiebewegung. Es gab Gespräche und auch Anzeichen für materielle Unterstützung. Eine Zeitschrift, die sich Pekinger Frühling nannte, konnte eine Ausgabe in einer offizieller Druckerei herstellen lassen. Leute aus dem Jugendverband ermöglichten das.

Und die konnte man dann auch offiziell vertreiben?

Naja, offiziell nicht! Keine dieser über 100 Zeitschriften, die zu der Zeit herauskamen, war registriert. Sie wurden auch an der Mauer der Demokratie verkauft oder verschickt. Die Zeitschrift Pekinger Frühling konnte aber ordentlich gedruckt werden und daher in höherer Auflage erscheinen.

Welche Rolle hat diese berühmte Mauer der Demokratie zu dieser Zeit wirklich gespielt?

Im Zentrum von Peking, bei der Xidan-Kreuzung, gab es eine lange Ziegelmauer. Der Ort liegt neben einer Busstation, bei der man zu den Vorortebussen gewechselt hat. Jeden Tag stiegen hier zehntausende, hunderttausende Menschen um. Viele Menschen haben ihre persönlichen Manifeste dort angebracht. Es waren ursprünglich diese so genannten Bittsteller, die Rehabilitierung forderten und ihre persönlichen Geschichten und Forderungen auf solchen Wandzeitungen schrieben und öffentlich machten. Innerhalb von zwei, drei Wochen wurde das ein Ort der politischen Debatte. Man konnte auch politische oder Menschenrechtsmanifeste lesen. Am Wochenende bildeten sich Diskussionszirkel. Menschen verkauften unabhängige Zeitschriften.

Die Mauer erregte schon sehr viel Aufmerksamkeit, erreichte aber nur eine kleine Öffentlichkeit. Es gab keine Medienberichte darüber, die Parteizeitungen haben nicht darüber berichtet. Nur höhere Funktionäre wussten aufgrund interner Informationsblätter Bescheid.

Wie nahm man diese Bewegung außerhalb Chinas wahr?

Sie erlangte schnell eine große Aufmerksamkeit. Die wenigen ausländischen Korrespondenten berichteten intensiv, auch im Kontext von vergleichbaren politischen Bewegungen in Osteuropa.

Das war das erste Mal, dass auch in China eine Dissidenten- und Bürgerrechtsbewegung entstand. Über den chinesischsprachigen Radiosender Voice of America oder BBC kamen diese Informationen wieder zurück nach China.

Kleinere Demokratiemauern bildeten sich in einer ganzen Reihe von Provinzhauptstädten, darunter Tianjin, Shanghai, Guiyang, Wuhan, Changsha, Guangzhou, Hangzhou, Shenyang. Auch hier publizierten Aktivisten Zeitschriften. Der Hauptteil der Bewegung fand aber sehr wohl in Peking statt.

Gab es Verbindungen zu Demokratiebewegungen in anderen asiatischen Ländern?

Nein, ich bin zumindest auf keine gestoßen. Es hat Versuche gegeben, mit der polnischen Arbeiterbewegung Solidarnosc Kontakt aufzunehmen. Xu Wanli, einer der prominenteren Anführer der Bewegung, hat einen Brief an Lech Walesa geschrieben, der aber nicht beantwortet wurde. Er weiß nicht, ob der Brief je angekommen ist.

Und in Asien, etwa Taiwan…?

Nein, es gab keine. In Südkorea gab es zuvor eine Bewegung, aber es gab keine Querverbindungen. Man versuchte auch nicht, Kontakt aufzunehmen. Die Leute, die im Pekinger Frühling aktiv waren, sahen das als chinesische Angelegenheit und wehrten sich zum Teil gegen Vereinnahmung von außen.

Warum ist keine großflächigere Bewegung entstanden? Waren es rein die fehlenden Kommunikationskanäle?

Das ist sicher ein Grund. Es war damals sehr schwierig, mit Gleichgesinnten zu kommunizieren. Der Hauptgrund war aber, dass sich viele Leute zurückgehalten haben. Die Erfahrungen der Kulturrevolution haben sicher viele abgehalten, sich mit Kritik an der kommunistischen Partei zu exponieren.

Auch Mao war zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich zur Kritik freigegeben. 1978/79 wurde alles der so genannten Viererbande angelastet. Die Abrechnung mit Mao, oder die Neueinschätzung Maos, das kam erst 1980 und 1981. Anfang ’81 erschien das Dokument der Kommunistischen Partei über historische Fragen.

Wie viel Nachwirkung hat diese Bewegung auf die heutige Zeit?

Wenig. Sie ist weitgehend in Vergessenheit geraten, auch in China. Die jungen Leute wissen nichts darüber, weil sie aus der öffentlichen, akademischen Debatte völlig ausgeblendet ist. Noch immer darf nicht wirklich darüber publiziert werden. Dann und wann erscheinen ein paar Artikel im Internet, bei denen aber die harten Fakten oft zensiert werden. Aus den Schulbüchern, selbst aus den zeitgeschichtlichen Darstellungen, ist die Bewegung weitgehend verbannt.

In künstlerischen Kreisen ist sie ein wenig präsent. Aber dort, wo es Verbindungen zur politischen Bewegung gibt, wird wieder verschwiegen. Ich fand ein schönes Buch mit dem Titel „Die 1970er-Jahre-Intellektuelle“, welches Intellektuelle, die zum Teil mit dieser Bewegung verbunden waren, publiziert haben. Eine Ausgabe ist in Peking erschienen, eine in Hongkong. In der Peking-Ausgabe fehlt eine Stelle, wo die Künstler am 1. Oktober 1979 zusammen mit den politischen Aktivisten durch Peking zogen und für Demokratie und künstlerische Freiheit demonstrierten. In der Hongkong-Ausgabe ist sie vorhanden, mit Fotos.

Dabei ließ die Regierung in den letzten Jahren viel wirtschaftliche Liberalisierung zu und tolerierte gesellschaftliche Pluralisierung…

Als ich begann, mich mit dem Thema zu befassen, glaubte ich, dass das nicht mehr so sensibel sein kann. Viele Leute sprachen auch offen mit mir, einige aber nicht.

Es gab auch Interviewpartner, die im letzten Moment nicht mit mir reden wollten, weil man ihnen sagte, dass sie nicht mit dem ausländischen Forscher sprechen sollen. Meines Wissens nach ist die Projektwebsite in China zugänglich. Das Thema gehört aber zu dieser Reihe an zeitgeschichtlichen Themen, die weitgehend tabu sind.

Sehen Sie Parallelen zwischen dem Scheitern der damaligen Bewegung und dem Scheitern neuerer Demokratiebewegungen?

Nein, die sehe ich nicht. Einerseits waren diese Bewegungen miteinander verbunden. Der letzte Höhepunkt des Pekinger Frühlings war die Wahlbewegung im November 1980. Neun Jahre später hatten die jungen Leute diese Ereignisse noch in Erinnerung. Vieles davon wurde aufgenommen. An mehreren Universitäten haben zu den lokalen Volksvertretungen offene, pluralistische Wahlen stattgefunden. Dutzende Kandidaten haben richtige, inhaltliche Wahlauseinandersetzungen geführt. Es wurden auch wieder Wandzeitungen geschrieben. Es ging wieder um Demokratie, Grundrechte, eine Neubewertung Maos und der Kulturrevolution. Danach wurde das abgedreht.

Es wurden die so genannten vier Grundprinzipien dekretiert, die man nicht antasten konnte (Die vier Grundprinzipien für die Entwicklung Chinas wurden von Deng Xiaoping in den 1970er Jahren entwickelt, um die Richtung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Chinas vorzugeben. Die Volksrepublik China sollte sich demnach auf dem sozialistischen Weg, unter Führung der Kommunistischen Partei, auf Grundlage von Marxismus-Leninismus, des Mao-Zedong-Denken und der Diktatur des Proletariats entwickeln, Anm.) Das wurde in die Verfassung geschrieben und auch exekutiert. Damit war das Kritisieren der Kommunistischen Partei und des Einparteiensystems ausdrücklich illegal geworden.

Das führte 1981 zur großen Verhaftungswelle und zur Verurteilung mehrerer Dutzend führender Köpfe dieser Demokratiebewegung, zum Teil zu sehr langjährigen Haftstrafen. Alle unabhängigen Zeitschriften und auch andere politische Aktivitäten wurden verboten.

Die Künstler und Schriftsteller hatte man weitgehend ungeschoren gelassen, aber auch ihre damaligen unabhängigen Aktivitäten waren nicht mehr möglich.

Anfang der 80er Jahre führte man die so genannte Kampagne gegen geistige Verschmutzung durch. Es war eine Backlash-Kampagne der kommunistischen Hardliner. Die dogmatischen Funktionäre wollten Einflüsse aus dem Westen, aber auch politische oder künstlerische Reformideen ausmerzen.

Nach einigen Jahren ging die Entwicklung wieder in die andere Richtung. Während der neuen Liberalisierung mit offenen Debatten haben sich neue Studentenbewegungen entwickelt. Die Themen des Pekinger Frühlings waren wieder da, aber in anderer Form. Es waren andere Leute, da die frühere Generation größtenteils im Gefängnis saß. Viele von jenen, die nicht inhaftiert haben, schlossen sich aber auch den Protesten von 1989 an.

Die Bewegung von 1989 war viel breiter als die von 1979. Sie wurde dann aber, wie wir wissen, niedergeschlagen. Auch Teile des intellektuellen Parteiapparates hatten sich mit dieser neuen Demokratiebewegung nicht solidarisiert, aber doch sympathisiert. Andere Teile der Partei, darunter Journalisten, Mitglieder der Parteiakademien und andere, nahmen auch teil.

Es gab in den 90er Jahren nochmals verschiedene Anläufe, eine eigene Demokratische Partei in China zu gründen. Das waren zum Teil wieder die gleichen Leute, die gerade aus dem Gefängnis entlassen worden waren, darunter Xu Wali, Wei Jingsheng und Wang Xizhe.

Nach der Jahrtausendwende kam es zu weiteren Demokratiebewegungen…

Die Demokratiebewegung in den 2000er Jahren ist eine andere. Es sind andere Themen. Es ist eine ganz neue Generation. Anwälte, die sich um Rechtsstaatlichkeit und Verteidigung der Bürgerinnen und Bürger gegen staatliche Willkür und Enteignungen, Spekulationsprojekte und Ähnliches kümmern. Im Mittelpunkt standen nun auch das Umweltthema, die Ausbeutung von Wanderarbeitern und die Zensur des Internets…

…und Korruption…

…und Korruption. Korruption war 1979 nur ein Thema am Rande. Damals sprach man von „Pressefreiheit“, also noch nicht einmal von Medienfreiheit. Unabhängige Radio- und Fernsehstationen waren damals absolut undenkbar. Ist übrigens auch heute noch undenkbar, nicht?

Wie geht es weiter mit dem Projekt? Was bleibt zu tun?

Die Interviews werden noch ausgewertet und auf die Website gestellt, in schriftlichen Auszügen und Zusammenfassungen. Auch die Audiofiles sollen zugänglich gemacht werden.

Auf der Website befinden sich sehr viele Fotos und andere Dokumente und auch eine Bibliografie von Erinnerungen, die im Internet abrufbar sind. Ich habe entsprechende Links zu diesen Erinnerungen gesetzt. Dieser Teil ist aber bei Weitem noch nicht vollständig. Es ist ein ständiger Work in Progress. Es kommt immer wieder Neues dazu und wird ergänzt.

Zu Beginn hatte ich die Vorstellung, von anderen Personen mehr Unterstützung zu erhalten, die Material, vielleicht auch Fotos zur Verfügung stellen könnten. Das hat sich als sehr schwierig erwiesen. Das heutige Interesse von anderen Leuten, selbst solche, die selbst irgendwie dabei waren, hält sich in Grenzen. Das Material ist verstreut. Menschen, von denen ich weiß, dass sie sogar Filme, Fotos und Interviews haben, sagen zu, aber sie müssten suchen, und es kommt nie was.

Ich würde mir auch wünschen, dass Personen in das Projekt einsteigen und mitführen. Es ist sehr viel Arbeit.

Fotos von Wandzeitschriften oder Zeitschriften sind gut aufgearbeitet. Universitäten auf Taiwan und amerikanische Universitäten in Hongkong haben viel gesammelt und ausgewertet. Es gibt aber auch viele andere, in den Provinzen, die vielleicht Fotos von den Texten gemacht haben.

Wir wissen beispielsweise von Manifesten oder Wandzeitungen, die zum Teil schon 1976/77 in Provinzstädten geschrieben wurden. Da wurde vielleicht eine Person verhaftet und ihr Manuskript konfisziert. Dieses liegt dann in einem Partei- oder Polizeiarchiv und wird 2080 möglicherweise freigegeben, oder auch nicht (lacht).

Es tauchen jedoch immer wieder Dinge auf. Auch ausländische Studenten, Diplomaten, Journalisten haben Fotos gemacht und Leute interviewt. Es ist unschätzbares historisches und zeitgeschichtliches Material, und ich hoffe, ein bisschen mehr zu finden.