Von Sothany Kim
In einer malerischen Landschaft in Kamogawa, 100 km südöstlich von Tokyo, setzen Japanerinnen Reispflanzen im kniehohen Wasser. Es handelt sich nicht um Reisbäuerinnen, sondern um Städterinnen aus Tokyo. Sie sind Freiwillige des „Tanada Ownership Systems“, einem Konzept zur Verpachtung von Reisterrassen an Privatpersonen. So sollen die Satoyama – traditionelle Kulturlandschaften – erhalten werden.
Satoyama, das bezeichnet wörtlich Dorf und Berg. Die Struktur setzt sich traditionell aus einem mit Niederwäldern besetzten Berghang mit seiner vielfältigen Flora und Fauna zusammen, der von den Dorfbewohnerinnen gepflegt wird und als Material- und Nahrungsquelle dient. Darauf folgen die Reisterrassen, die zudem als Lebensraum für diverse Lebewesen dienen, das Dorf selbst und das ertragreichen Land, dass für den Anbau von Gemüse und Obst verwendet wird. Es ist ein funktionierendes Ökosystem zwischen dem Menschen und der von ihm geprägten Natur.
Im Rahmen des Tanada Ownership Systems widmen sich Privatpersonen als auch Firmen mit ihren Angestellten zirka alle zwei Monate an einem Wochenende dem Reisanbau. Mithilfe des umfangreichen Wissens der Landwirtinnen ist es so Menschen aus der Stadt gegen einen kleinen Jahresbeitrag möglich, mit der Natur in Verbindung zu treten und gleichzeitig ihren eigenen Reis anzubauen. Schon seit 1992 bestehen solche Systeme, die es mittlerweile in den verschiedensten Gegenden in Japan zu finden gibt. Den Begründerinnen war bei der Entwicklung des Systems vor allem eines wichtig: Die Menschen aus der Stadt sollen mit diesen Kulturlandschaften in Berührung kommen und ein Bewusstsein für diese zu entwickeln.
Dass die Blütezeit solcher Bergdörfer jedoch längst vorbei ist, wird spätestens bei Stichworten wie Industrialisierung und Abwanderung klar. Die Überalterung der Dorfbewohnerinnen macht es schwierig, Satoyama-Gebiete weiter aufrechtzuerhalten. Systeme wie das vom Tanada Ownership sollen helfen, in der japanischen Gesellschaft ein neues Bewusstsein für die Bewahrung solcher Kulturlandschaften aufkommen zu lassen. Im Gegensatz zum „gewöhnlichen“ Naturschutz liegen hier die Förderung von Biodiversität und das nachhaltigen Zusammenleben zwischen Mensch und Natur im Fokus.
Der Begriff Satoyama gewinnt mittlerweile auch an internationaler Popularität, was am Beispiel der „Satoyama Initiative“ deutlich wird. Dieses von der japanischen Regierung unterstützte Projekt versucht mit dem Wissen über den Landwirtschaftsbau aus den traditionellen Satoyama-Gebieten durch Kooperationen mit Naturschutzorganisationen traditionelle Dörfer in anderen Ländern zu erhalten und somit funktionierende Ökosysteme zu schaffen. Vor allem wird darauf geachtet, dass der regionalen Bevölkerung kein System von außen aufgedrückt wird, sondern die Methoden an die regionalen Gewohnheiten und Umstände angepasst werden.
Die Idee von solchen Satoyama-Projekten hat jedoch auch ihren bitteren Beigeschmack. „Radfahren in Satoyama-Gebieten“, „Rent a minka“ oder ähnliche Angebote wirken vor allem wie ein verzweifelter Versuch, die Besucherinnenzahlen der Touristinnen in spärlich bereisten Gebieten in die Höhe zu treiben. Satoyama – ein Trend zum „Go Green“? Selbst für die Mitwirkenden im Tanada Ownership System steht der Erhalt dieser Kulturlandschaften nicht im Vordergrund. Die Ästhetik der Landschaft und der Spaß sind unter anderem Motive für sie zu Hobby-Reispächterinnen zu werden, schreibt Pia Kieninger von der Universität für Bodenkultur Wien, die ihre Dissertation über die Bewahrung von Kulturlandschaften am Beispiel des Tanada Ownership Systems verfasst hat.
Einen positiven Aspekt haben solche Projekte trotzdem. Die Beteiligten zeigen eine hohe emotionale und spirituelle Verbundenheit zu der Landschaft und der gemeinsamen, sozialen Aktivität. „Vor allem der Begriff Heimat schwingt stark mit“, sagt Kieninger. Satoyama, das ist nicht nur die landschaftliche Struktur, sondern symbolisiert auch das dortige Leben, mit seinen Bräuchen und Festen. „Daraus kann man für andere Umweltprojekte nur lernen.“ Und so hofft die lokale Bevölkerung auch, dass Städterinnen von außen hinzuziehen.
Satoyama, ein Naturkonzept, das für das ideale Bild des Lebens der Menschen im Einklang mit der Natur steht und dessen Verständnis ausgeweitet werden sollte. Das Tanada Ownership System ist eines der Beispiele, mit dem Japan in Richtung Schutz der Kulturlandschaften gehen kann. Ironischerweise lässt die Katastrophe vom 11. März 2011 klar werden, dass solche Landschaften ein Teil der Kultur sind, mit dem man sich aktiv beschäftigen muss und dessen Existenz es zu schützen gilt.
Weiterführende Links:
> Satoyama – Projekt der BOKU, Plattform für Naturschutz und Biodiversitätsforschung
> Infos zum Tanada Ownership System auf Japanisch