Von Michael Prammer
In Zeiten gesellschaftlicher Anspannung bieten Kunstformen wie Musik eine Möglichkeit, den eigenen Unmut für ein Publikum hörbar zu machen. Im Japan der 1960er und 1970er Jahre, das von der studentischen Demonstrationsbewegungen und der Unzufriedenheit vieler Japanerinnen mit der eigenen Regierung geprägt war, wurde Musik als ein Mittel des sozialen Widerstandes genutzt.
Zu den bekanntesten Kritikern des japanischen Staates zählte die japanische Folk-Rockband Brain Police, die öffentliches Interesse erlangte, nachdem ihre Mitglieder für das Coverbild ihres ersten Albums das Porträt eines verurteilten Bankräubers verwendet hatten. In der traumatisierten japanischen Gesellschaft, die sich bereits wenige Jahre nach dem Ende des Schreckens des japanischen Militarismus und Ultranationalismus in einem militärischen Bündnis mit den USA wiederfand, entstanden einige Gruppierungen, die diese paradoxe Situation in ihren Liedern thematisierten und die Bedeutung des japanischen Staates kritisch hinterfragten.
Der Verkauf des Albums wurde wegen des starken politischen Charakters der Texte nach kurzer Zeit eingestellt und die öffentliche Ausstrahlung der Lieder untersagt. Vielerorts hatte die Gruppe mit Auftrittsverboten zu kämpfen, was jedoch ihren Bekanntheitsgrad weiter erhöhte.
Ihre politische Ideologie orientierte sich an den Ideen des Kommunismus und einer bewaffneten Weltrevolution. Beispiele für die flammende Rhetorik der Band finden sich in den Reden, die oftmals vor den eigentlichen Auftritten gehalten wurden, und in den Liedern selbst. In „Die Waffen hoch!“, einem der bekanntesten Lieder der Gruppe, fordert der Sänger Panta die Zuhörer auf, zur Waffe zu greifen. „Für andere Menschen zu sterben, das interessiert uns überhaupt nicht!“ ruft er und rechnet mit Begriffen wie „Gehorsamkeit“ und „Opferungsbereitschaft“ ab, welche noch wenige Jahrzehnte zuvor als Ideale des japanischen Soldaten propagiert wurden. In einer Gesellschaft, die sich von der Vergangenheit abgewendet hat, ruft Panta zum gewalttätigen Widerstand und der Verteidigung der neu gewonnen Freiheit auf.
Die Schärfe einer solchen Rhetorik reißt die Zuhörer für kurze Zeit aus ihrer gewohnten Umgebung und befördert sie in eine Zeit des sozialen Umbruchs und der allgegenwärtigen Gewalt. Der Staat als höchste Autorität wird von der anarchistischen Vorstellung einer neuen Gesellschaft bedrängt, in welcher die nunmehr emanzipierten Bürger für ihr Wohl und ihre Wünsche kämpfen und nicht mehr als Marionetten des Staates benutzt werden.
Doch die Realität sieht anders aus. So wie sich die japanische Rote Armee Fraktion zu Beginn der Siebzigerjahre durch innere Säuberungsaktionen selbst zerstörte und den Untergang der japanischen Linken mit einleitete, änderte sich auch die Bedeutung der Brain Police. Galt früher der bloße Auftritt als Angriff gegen die Macht des Staates, findet sich heute nur noch ein zahmer Rest des einstigen Feuers: obwohl die alten Lieder gespielt werden, haben sich die Rahmenbedingungen geändert und das präsentierte Gegenmodell wirkt nur noch wie ein Abglanz seiner selbst.
Panta und seinen Kollegen wurden für ihre Bloßstellung eines eifersüchtig überwachenden und kontrollierenden Staates berühmt, der kritische Gedanken nicht tolerieren will und diese nach Kräften zu unterdrücken sucht. Doch durch den kommerziellen Erfolg der Band verloren die einst kritischen Inhalte immer mehr an Glaubwürdigkeit: die einst radikalen Elemente waren längst in den gesellschaftlichen Mainstream re-integriert worden. Die gegengesellschaftliche Grundhaltung, die der Musik ihr Feuer verlieh und das Publikum zu entflammen vermochte, verblasste. Zurück bleiben vereinzelte Glutnester, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die größte Gefahr für die subversive Kraft der Kunst nicht im Staat, sondern in uns selbst zu liegen scheint.