Von Michael Prammer
Die Evangelisch-koreanische Gemeinde in Wien besteht seit etwa 40 Jahren. Was einst als Gottesdienst und Gebetstreffen emigrierter Koreanerinnen in den eigenen vier Wänden begann, hat sich über die Jahre zu einer weitreichenden Gemeinde mit etwa 400 Mitgliedern entwickelt, die sich regelmäßig im eigenen angekauften Gemeindegebäude mit Kirche im dritten Wiener Gemeindebezirk trifft. Laut Zi-Su Kim, einem Mitarbeiter der Jugendgruppe, ist die Gemeinde wie eine kleine Familie, die auch eine Anlaufstelle für Familien aus Korea bietet.
Als ich den Vorraum der Kirche betrete, sind die Vorbereitungen für den Jugendgottesdienst in vollem Gange. Von den fünfzig Mitgliedern der Jugendgruppe sind bereits an die dreißig anwesend. Zi-Su fragt mich, ob ich schon zu Mittag gegessen habe und als ich verneine bittet er David, einen 26jährigen Studenten mit koreanischen Wurzeln, mich in die Küche zu begleiten. Auf dem Weg durch die Gänge des Gebäudes begegnen wir zahlreichen jungen Koreanerinnen und ihren Kindern. Bei einer Schüssel Suppe und Bibimbap, einem traditionellen koreanischen Gericht, erzählt mir David, dass er als ehrenamtlicher Dolmetscher für die Gemeinde arbeitet.
Die anderen Tischgäste unterhalten sich währenddessen angeregt auf Koreanisch. Nach dem Essen machen wir uns auf den Weg zum eigentlichen Gottesdienst. Als wir den Kirchenraum betreten, hat die Jugendband der Gemeinde bereits mit dem „Lobpreis“ begonnen. Zu den rhythmischen Klängen von E-Gitarre, Keyboard und Schlagzeug singt der dreiköpfige Chor gemeinsam mit den Anwesenden ein Loblied auf Gott. Beim Betrachten der Teilnehmer bleibt mein Blick an einem jungen Mann hängen, der sich mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen im Takt der Musik wiegt. Danach tritt der koreanische Jugendpastor an das Rednerpult und beginnt die Predigt auf Koreanisch. Dank Davids Übersetzung, die auf meine Funkkopfhörer übertragen wird, kann ich ihr ohne Probleme folgen.
Gegen Ende der Predigt beginnt die Gemeinde (in Reaktion auf die Worte) auf Bitten des Pastors zu beten, während sie einander die Hände reichen. Plötzlich spüre ich, wie sich von hinten die Hände einer jungen Frau auf meine Schulter legen. Ihre Augen sind geschlossen, ihr Gesicht wirkt konzentriert und ein wenig angespannt, während sie auf koreanisch ihr Gebet spricht. Danach singt die Gemeinde gemeinsam ein Segnungslied und begrüßt alle Neuankömmlinge – also auch mich. Gerade, als ich von der Kirchenbank aufstehen will, dreht sich ein junger Mann zu mir um und fragt mich nach meinem Namen. Er möchte wissen, ob ich beim nächsten Gottesdienst wieder dabei sein werde. Etwas überrascht schüttle ich seine Hand und bin um eine Antwort verlegen.
Nach dieser Erfahrung verstehe ich die Bedeutung der „kleinen Familie“ ein bisschen besser, von der Zi-Su erzählt hat. Dennoch wird mir klar, dass die Gemeinde sehr in sich gekehrt zu sein scheint. Auch Zi-Su sieht darin ein Problem, das es zu lösen gilt. Er meint, dass dahingehend bereits vieles geschehen ist, aber noch viel mehr folgen muss. Für ihn liegt die weitere Aufgabe der Gemeinde darin, ein Herz für einen Brückenschlag zwischen den Kulturen zu sein und als Mediator zu fungieren – eine Aufgabe, die gerade von der Jugend erfüllt werden kann. Dies soll durch ehrliche und authentische Ausdrucksformen möglich werden. Der Gottesdient wird einmal im Monat ausschließlich auf Deutsch abgehalten. „Wir können ohnehin alle Deutsch“, meint Zi-Su. „Und gerade in einer pluralistischen Gesellschaft wie unserer ist es wichtig, Hindernisse zu beseitigen“. In diesem Punkt kann ich ihm nur zustimmen. Vielleicht werde ich auch nächste Woche wieder beim Gottesdienst vorbeischauen.