Von Thomas Immervoll
Die Verbannung der japanischen Schauspielerin Aoi Sora aus dem chinesischen Fernsehen ist beispielhaft für die Entwicklungen in der Medienzensur in der Volksrepublik der letzten Monate. Gleichzeitig ist umstritten, wie weit die staatlichen Restriktionen im Mediensektor gehen sollen.
Im vergangenen April erlegte die für die Zensur von Chinas Film und Fernsehen zuständige Behörde SARFT dem Unterhaltungsfernsehen umfangreiche Restriktionen auf. Davon war auch die japanische Schauspielerin Aoi Sora (alternativ: Aoi Sola, chinesisch: Cang Jingkong) betroffen, die fortan nicht mehr im chinesischen Fernsehen zu sehen ist.
Die heute 28-Jährige wurde als Darstellerin in zahlreichen Pornofilmen bekannt und genießt in China und anderen Ländern Asiens große Popularität. Auf Weibo hat sie fast 11,7 Millionen Anhänger, 334.000 Nutzer folgen @aoi_sola auf Twitter.
Obwohl sie in den letzten Jahren eine Reihe von Mainstreamfilmen und -serien drehte, haftet ihr das Image als Pornodarstellerin weiterhin an. Doch seit einiger Zeit arbeitet sie an ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Nach dem schweren Erdbeben im Kreis Yushu im Südwesten der chinesischen Provinz Qinghai 2010 sammelte Aoi Spenden für die Opfer. Daneben nutzte sie zahlreiche Gelegenheiten außerhalb Japans, um sich einem breiteren Publikum zu präsentieren. Ihre Auftritte bei der EXPO in Shanghai 2010 und in Nanchang 2011 waren von großem Medieninteresse begleitet. Die Reaktionen in den chinesischsprachigen Onlineforen waren gemischt. Aoi Sola spaltet die chinesische Öffentlichkeit.
Auf die jüngsten Entscheidungen der chinesischen Behörden reagierten Aois Fans auf Weibo mit Unverständnis. Zhu Zude kommentiert via Weibo: „Es ist dumm Aoi Sora zu verbannen. Aoi Sora ist eine Schauspielerin, und sie hat der Gesellschaft nicht geschadet. Im Gegenteil, sie hat sich in China für etliche karitative Aktivitäten engagiert, sie ist ehrlicher und fleißiger als viele chinesische Schauspielerinnen.“
Unmittelbar vor ihrer Verbannung aus dem chinesischen Fernsehen hatte Aoi Auftritte zur Promotion ihres ersten chinesischen Spielfilms „Der zweite Traum“ in Beijing absolviert. Die Ankündigung der chinesischen Behörden platzt gerade in die Vermarktung des Streifens.
Pornografische Darstellungen sind in der Volksrepublik China strengstens verboten – auch im Internet. Die Behörden versuchen ihr Möglichstes, chinesischen Netizens den Zugang zu pornografischen Materialien zu erschweren, einschlägige Websites zu zensurieren und ihre Betreiber zu belangen. In der Vergangenheit kam es wiederholt zu Verhaftungen, Verurteilungen und der Schließung von Websites, Weblogs und Microblogs.
Seit einiger Zeit läuft in den chinesischen Foren eine heftige Debatte darüber, was als pornografische Darstellung zu bezeichnen sei und was nicht, und wie viel dem chinesischen Publikum zugemutet werden könne. Als kürzlich die 3D-Version des Hollywood-Blockbusters Titanic in die chinesischen Kinos kam, aus dem die Nacktszene mit der Hauptdarstellerin Kate Winslet gestrichen worden war, gab es auf Weibo heftige Proteste. Die Szene war in der 2D-Version des Filmes 1998 in der Volksrepublik noch zu sehen gewesen.
Die Zensurmaßnahmen im chinesischen Film und Fernsehen sind Teil einer breiteren Kampagne. Einem Bericht von China Daily zufolge wurden Ende April binnen einer Woche 535 Microblogaccounts in den Portalen sina.com.cn, qq.com, sohu.com, 163.com, hexun.com und weibo.10086.cn wegen der Verbreitung pornografischer Inhalte geschlossen. Führende chinesische Internetfirmen wie Sina Corp (die Sina Weibo betreibt), die Suchmaschine Baidu und Tencent, der Inhaber des sozialen Netzwerkes QQ, stimmten bereits im vergangenen November einer Richtline der Regierung zu, die unter anderem die Bekämpfung von Onlinepornografie zum Inhalt hat.
Trotz der rigiden Maßnahmen gegen die chinesische Pornoindustrie und der ungebremsten Zensur pornografischer Inhalte ist deren Konsum ungebrochen. Das Internet ist weiterhin bedeutend für die Verbreitung der Materialien. Einer von der englischsprachigen China Daily im April veröffentlichten Umfrage zufolge spielen Internet und Pornografie eine wesentliche Rolle als Quellen für Wissen rund um Sexualität in China.
Doch da unter solchen Umständen keine echte Pornoindustrie wachsen kann, wird der Markt in der Volksrepublik durch chinesische Amateurproduktionen und professionelle japanische Filme und Bilder geprägt. So sind es häufig japanische Pornostars wie Aoi Sora, die in China populär werden.
Die Zensur der Fernsehauftritte von Aoi Sora ist eine Episode, die sehr gut in das Bild der Entwicklungen der letzten Monate passt. Doch bislang gelang es der chinesischen Zensur weder die Existenz einer Pornoindustrie noch die Verbreitung einschlägigen Materials zu verhindern. Die Debatte der letzten Monate wird zunehmend von Beispielen prominenter Akteure geprägt, die immer mehr in das Interesse der chinesischen Behörden geraten. Wie weit die Freiheit der Medien und der Individuen gehen kann, darüber wird in den Foren und Microblogs noch längere Zeit zu debattieren sein.