Von Lisa Rock und Ingomar Stöller
„Tue etwas, dann gelingt es auch“, sagte der aufgrund seiner harten Militärdiktatur kontroverse südkoreanische Ex-Präsident Park Chung-Hee, der von 1961 bis 1979 das Land regierte. Seine Person und seine Politik mögen umstritten sein. Doch lehrte er das koreanische Volk, aus der am Han- Fluss gelegenen Stadt Seoul, die zum Ende des Koreakrieges 1953 einer Ruine glich, eine moderne Metropole zu schaffen.
In ihr stehen heute jahrhundertalte Paläste neben schimmernden Wolkenkratzern des 21. Jahrhunderts, welche das Stadtbild prägen. Im November 2010 wurde in der aufstrebenden Metropole mit elf Millionen Einwohnerinnen der G20-Gipfel abgehalten, Seoul zog damit die Blicke der Welt auf sich. Wer jedoch glaubt, die Stadt habe dadurch ihr Image bereits ausreichend aufpoliert, täuscht sich: Denn die Koreanerinnen erleben in ihrer Hauptstadt eine Phase der kreativen Wiederbelebung.
Seoul, eine Stadt die lange als graues Zentrum massiver Industrieanlagen bekannt war, entpuppte sich im letzten Jahr zum großen Erstaunen der Welt als Lifestyle-Stadt der Superlative. In Anerkennung ihres reichen kulturellen Erbes und kreativen Potentials gewann Seoul im vergangenen Jahr den UNESCO-Titel „Hauptstadt für Design“ – eine von nur acht solchen Städten weltweit. Die Stadt galt jedoch bereits vor der Vergabe als geheime Favoritin, da sie im Vorfeld schon über 20 Konkurrentinnen im Wettkampf um den Titel der Weltdesignhauptstadt 2010 ausstach.
„Design hat den Zweck, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und auf diese Weise eine harmonische, auf offener Kommunikation beruhende Welt aufzubauen“, erklärte der Bürgermeister von Seoul, Oh Se-Hoon, im Februar letzten Jahres. „Gemäß dem Motto ‚Design für Alle’ wird die Stadtverwaltung von Seoul sich dafür einsetzen, einen Ort zu schaffen, an dem alle Bürgerinnen nach Glück streben können.“ Ob alle Bürgerinnen das Glück auch finden werden, ist fraglich. Denn heute geht es nicht allen Bewohnerinnen gut.
Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandabkommens mit Nordkorea im Jahr 1953 sorgten die politischen Gegebenheiten für einen massiven Zuwandererinnenstrom. Die Bevölkerung Seouls stieg in den 1960er- und 1980er-Jahren täglich um 894 Bewohnerinnen an, das heißt es wurden jeden Tag unter anderem 224 neue Häuser, 18 Busse und 268 Tonnen Trinkwasser zusätzlich benötigt, darüber hinaus galt es, hunderte Kilos an Abfall zu beseitigen. „Man konnte Wohnungen bauen, wie man wollte, es fehlte immer an Wohnraum; man konnte Straßen erweitern, wie man wollte, sie reichten nie aus“, schreibt Son Jeong-Mok, Professor der Seoul City Universität, in seiner fünfbändigen Beantwortung der Frage „Warum die Stadtplanung von Seoul so chaotisch ist“.
Um für die zahlreichen neuen Bewohnerinnen Seouls Wohn- und Lebensraum zu schaffen, wurden viele Stadtbewohnerinnen Opfer von Zwangsumsiedlungen. Meist traf es die Armen, die kein wirkliches Wohnrecht hatten und in eigene Armenviertel außerhalb der Stadt verlagert wurden. Und das, obwohl sie bereits jahrelang in ihren teilweise selbst errichteten Behausungen im Stadtzentrum wohnten. Doch diese Hütten passten nicht mehr in das neue Stadtbild. Zu den Gewinnerinnen der Entwicklung Seouls zur Megastadt zählten hingegen die lokalen Bauunternehmen und Politikerinnen, die ihre „schwarzen Kassen“ prächtig füllen konnten.
Prägten in den 1960ern Einfamilienhäuser das Stadtbild, wurden diese in den 1970ern zunehmend von mehrstöckigen Apartmentblocks abgelöst, die im Laufe der Jahre immer höher, aber auch attraktiver wurden. Im Westen werden solche mehrstöckigen Gebäude oft mit dem negativ belegten Begriff „Plattenbau“ in Verbindung gebracht. In Korea hingegen gilt es zunehmend als erstrebenswert in solchen Apartmentblocks zu wohnen, die im Gegensatz zu „normalen“ Häusern auch luxuriöser ausgestattet sind. Doch nicht nur in Sachen Optik, sondern auch in Bezug auf den Umweltschutz ist Seoul heute direkt am Puls der Zeit.
Der knapp sechs Kilometer lange Fluss Cheonggyechon, der durch das Zentrum von Seoul fließt, wurde seit den 1960er Jahren durch eine mehrspurige Straße ersetzt. Da Seoul Anfang 2000 in einem Rating der OECD eine der schlechtesten Luftqualitäten aller Hauptstädte besaß, beschloss der damalige Bürgermeister der Stadt, Lee Myung-bak, 2005 den Highway abzureißen und den Fluss wieder freizulegen. Dies führte zwar zu großen Protesten seitens der lokalen Wirtschaftstreibenden. Doch durch den Abriss der Straße wurde auch der drohende Verkehrskollaps abgewandt. Geschätzte 125.000 Autos weniger zählten Seouls Straßen, zahlreiche neue Grünflächen kamen hinzu. Entstanden ist ein künstlicher Fluss, der durch das Zentrum fließt und zum Spazieren und Flanieren einlädt. Zahlreiche Unterhaltungsmöglichkeiten inklusive Licht-, Brunnen- und Wasserspielen haben das Flussufer zu einem Lieblingsort für viele gemacht, an dem sich sowohl Seoulerinnen als auch Touristinnen bis spät in die Nacht hinein aufhalten.
Heute gilt der Fluss als Symbol des Einsatzes um eine grünere und lebenswertere Hauptstadt. Kurz nach der Sanierung des Cheonggyechon wurde Lee als Kandidat der Wirtschaftspartei Südkoreas zum Präsidenten gewählt. Doch das stellte noch lange nicht das Ende des grünen Seouls dar: Abgesehen von zahlreichen beliebten Naherholungsgebieten, wie dem Namsan oder Bukhansam, ist Seoul auch die weltweit erste Stadt, die im Dezember 2010 den kommerziellen Betrieb von Elektrobussen aufnahm. „Green-Car, Smart City“ lautet der Slogan mit dem die Stadtregierung bis 2020 in Summe 120.000 Elektrofahrzeuge in Betrieb nehmen will. „Tue etwas, dann gelingt es auch“ – diesen Satz haben sich die Stadtplanerinnen Seouls wohl zu Herzen genommen.