Korea inmitten Japans Hauptstadt

Von Patrick Vierthaler

Nur eine Bahnstation nördlich des Tokyoter VergnĂŒgungs- und Ausgehviertels Kabuki-Cho findet man sich in dem hauptsĂ€chlich von Koreanerinnen bewohnten Shin-Okubo wieder. Koreanerinnen sind in Japan die grĂ¶ĂŸte ethnische Minderheit. Über 600.000 von ihnen leben heute konzentriert vor allem in und um Osaka, sowie in einem Korea Town genannten Stadtviertel Tokyos.

Eine Ursache fĂŒr die relativ große Anzahl der Koreanerinnen findet sich in der imperialistischen Vergangenheit Japans. Vor allem wĂ€hrend des Pazifischen Krieges wurden viele Zwangsarbeiterinnen nach Japan geholt und die anschließende politische Entwicklung in Korea erschwerte eine RĂŒckwanderung der damals 2,3 Millionen Koreanerinnen in Japan. Erst nachdem 1965 ein Friedensvertrag mit SĂŒdkorea geschlossen wurde, kehrten zirka 1,7 Millionen Koreanerinnen in ihre Heimat zurĂŒck.Ebenso verließen bis in die 1960er-Jahre hinein etliche Nordkoreanerinnen Japan.

Im Vergleich zu den weit verzweigten GĂ€ngen und den vielen zusammenlaufenden Linien in Shinjuku ist Shin-Okubo beinahe schon ein Provinzbahnhof. VerlĂ€sst man den Bahnhof und schlendert die Hauptstraße entlang, bietet sich ein fĂŒr Tokyo untypisches Bild: Der erste Eindruck unterscheidet sich von dem vieler anderer Stadtviertel, die Menschen scheinen anders miteinander umzugehen. SpĂ€testens beim Einbiegen in eine der zahlreichen Seitengassen stellt man fest, dass zunehmend das koreanische Schriftsystem Hangeul bei der Straßenbeschilderung die Oberhand ĂŒber die japanische Schrift gewonnen hat. Auf der Straße wird hauptsĂ€chlich Koreanisch gesprochen.

Ein in der japanischen Öffentlichkeit zunehmend behandeltes Thema ist die angebliche Zunahme und Konzentration von Minderheiten- und AuslĂ€nderkriminalitĂ€t,belegen lĂ€sst sich das aber nicht. Besonders das Kabuki-Cho-Viertel im westlichen Tokyo dient dabei als BĂŒhne fĂŒr zahlreiche Filme, BĂŒcher und Videospiele, in denen die chinesische und die koreanische Minderheit oftmals in schlechtem Licht dargestellt werden. In ganz Tokyo kamen im Jahr 2009 auf neun Millionen Einwohnerinnen 2.304 TaschendiebstĂ€hle. In der hauptsĂ€chlich von Koreanerinnen besiedelten Shin-Okubo-Gegend wurden zirka 20 DiebstĂ€hle gezĂ€hlt, kein signifikant hoher Wert. Der Vorwurf, in dem von Koreanerinnen besiedelten Gebiet wĂ€re die KriminalitĂ€t höher, lĂ€sst sich also rein statistisch nicht belegen.

Das unter Japanern negative Image des Stadtviertels ist wohl durch die allgemeinen Vorurteile gegenĂŒber der koreanischen Minderheit zu erklĂ€ren. Koreanerinnen wurden lange Zeit auf verschiedensten Ebenen der Gesellschaft diskriminiert und das gilt auch heute noch: Die japanische StaatsbĂŒrgerschaft wurde ihnen lange Zeit verwehrt, sie verfĂŒgen in den meisten FĂ€llen ĂŒber kein Wahlrecht und auch AbschlĂŒsse an speziellen koreanischen Schulen werden von der japanischen Regierung nicht anerkannt. Als Folge bildeten sich in den 1950er und 1960er-Jahren relativ rasch eigene Viertel und Siedlungen, in denen die Koreanerinnen konzentriert leben. Eine Folge der Diskriminierung und eine weitere StĂ€rkung dieser Korea Towns ist auch, dass viele Koreanerinnen heute in selbststĂ€ndigen Berufen arbeiten und zum Beispiel GeschĂ€fte oder Restaurants betreiben.

Bleibt am Ende festzustellen, dass Shin-Okubo – wie auch andere von Minderheiten bevölkerte Stadtviertel Tokyos – nicht gefĂ€hrlicher als andere Stadtviertel ist. Im Gegenteil: Shin-Okubo ist ein interessantes Mini-Korea innerhalb Japans, in dem sich ein Besuch auf jeden Fall lohnt.