Hongkong: „NGOs sind ein Türspalt nach China“

Foto: Matthias Haberl. Matthias Haberl (rechts) gemeinsam mit dem Arbeitsrechtsexperten Pak Kin Wan aus Hongkong Foto: Matthias Haberl. Matthias Haberl (rechts) gemeinsam mit dem Arbeitsrechtsexperten Pak Kin Wan aus Hongkong

Interview mit Matthias Haberl
von David Lenz und Thomas Immervoll

Seit über einem Monat gilt das Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong. Es sieht eine strengere Kontrolle von Medien, Zivilgesellschaft, Internet und Schulen vor. Über die Zukunft der Hongkonger NGOs sprachen wir mit Matthias Haberl von der Organisation Südwind.

Haberl arbeitet als Bildungsreferent mit dem Themenschwerpunkt Elektronik intensiv mit Partnerorganisationen in Hongkong zusammen. Südwind ist ein entwicklungspolitischer Verein mit Sitz in Wien und setzt sich global für faire Arbeits- und Lebensbedingungen ein.

dasReispapier: Matthias, du hast enge Kontakte zur Hongkonger NGO-Szene. Wie ist die Stimmung vor Ort?

Matthias Haberl: Wir sprechen in Hongkong von ein, zwei Handvoll NGOs. Diese sind eher klein und stark auf Partnerschaften mit ausländischen Organisationen angewiesen. Aber sie sind für uns extrem wichtig. Die Nervosität unter ihnen ist seit längerer Zeit groß. Mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz ist sie nochmal gewachsen, weil es die Sicherheit und Arbeit Hongkonger NGOs gefährdet.

Das Gesetz unterscheidet zwischen inländischen und ausländischen NGOs. Befürchten die NGOs vor Ort eine Registrierung, wie sie in Festlandchina vorgeschrieben ist?

Auf dem Festland gibt es das Foreign NGO Law. Ausländische Organisationen können dort kaum noch Fuß fassen oder Partnerschaften aufbauen. Das gleiche wird vorraussichtlich in Hongkong passieren, denn darauf zielt das Nationale Sicherheitsgesetz offenbar ab. Die Frage der Registrierung spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wenn man ausländisches Kapital für bestimmte Themen bekommt, macht man sich theoretisch schon schuldig. Die Straftatbestände sind extrem weit gefasst und vage formuliert. Ziel ist, dass man nicht genau weiß, was legal ist. Wir erleben diese Rechtsunsicherheit in China öfters. Das kann von den Behörden ausgelegt werden, wie sie es benötigen. Wer soll damit arbeiten? Das ist ja absurd.

Was macht für euch die Bedeutung der NGOs in Hongkong aus?

Wir wissen sehr wenig über den aktuellen Umgang mit Arbeits- und Menschenrechten in China, weil kaum jemand unabhängig dazu aus China berichtet. Hongkonger Organisationen sind ein kleiner Türspalt, der uns Einblicke in die Lage in China gibt. Wenn diese NGOs weg sind, dann sehen wir gar nichts mehr. Weltweit sind Organisationen wie unsere also extrem angewiesen auf deren Wissen. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, dann sind wir auch blind.

In einem Interview vor mehr als einem Monat in der South China Morning Post sagt Geoffrey Crothall von China Labour Bulletin (CLB) sinngemäß: egal was das Gesetz sagt, wir werden immer einen Weg finden, um weiterzuarbeiten. Wie kann eine solche Weiterarbeit unter diesem Gesetz aussehen? Wie beurteilst du die Zukunft dieser NGOs und deren Arbeit?

Die Hongkonger NGO-Szene ist nicht homogen, denn nicht alle vertreten dieselbe Meinung. Einer der Leute von CLB arbeitet, wenn auch inoffiziell, von Shenzhen aus. Seine Arbeit funktioniert, aber er muss natürlich extrem vorsichtig sein. Als wir mit Pak Kin Wan, einem Arbeitsrechtsexperten von Labour Education and Service Network in Festlandchina unterwegs waren, hatte er große Sorgen. Hotels melden automatisch die Anwesenheit an die lokale Polizei und somit fürchtete er Repressalien. Unsere Kolleginnen aus Hongkong werden jetzt schon von den Behörden regelmäßig befragt. Ich freue mich, wenn die Kolleginnen von China Labour Bulletin offenbar so optimistisch sind. Andere sind weniger optimistisch.

Kennst du konkrete Pläne, was die NGOs in Hongkong unternehmen möchten?

Das wissen wir noch nicht. Ich denke, die Organisationen sind noch dabei zu evaluieren. Ich glaube nicht, dass die Arbeitsrechtsorganisationen die ersten sind, auf die das Gesetz abzielt, dafür sind sie wohl zu klein. Aber sobald die großen Schritte gesetzt sind, wird sich die Justiz in Festlandchina auch ihre Arbeit ansehen. Und alleine die Unsicherheit, sich ab nun in einem rechtlichen Graubereich zu bewegen, macht ihre Arbeit unangenehm.

Du arbeitest vor allem zur Elektronikindustrie. Gerade in diesem Bereich ist China nach wie vor ein großer Player. Wie geht deine Arbeit dann weiter, wenn sich dieses Fenster zum Festland schließt?

Laut dem Observatory of Economic Complexity (OEC) sind 47 % der chinesischen Exporte Elektronikartikel. Nun sind auch viele andere Länder, wo es Missstände gibt, am Markt. Mein Job wird daher nicht beendet sein. Aber wir wollen natürlich weiterhin zu China arbeiten. Mit Electronics Watch haben wir ein Konzept entwickelt, mit dem wir Arbeitsbedingungen verbessern können, ohne den politischen Weg zu gehen und ohne die Industrie direkt miteinzubeziehen. Das funktioniert ganz gut. Aber wir werden zunehmend weniger über die Einhaltung von Arbeitsrechten in China wissen, wenn die Leute in Hongkong auf dem Gebiet nicht arbeiten können.

Nicht nur NGOs arbeiten zur Elektronikindustrie in Hongkong und in Festlandchina, sondern auch die Universitäten, etwa das Team um Professorin Pun Ngai. Medien berichten, dass auch die Unis unter Druck kommen. Der Professor Benny Tai wurde soeben gekündigt. Wie ist die Stimmung in Wissenschafts-Kreisen?

Wir haben unsere Kontakte seit der Erlassung des Gesetzes noch nicht angesprochen. Bei Sacom [eine NGO in Hongkong, die soziale Verantwortung von Unternehmen einfordert und mit der Pun Ngai eng zusammenarbeitet, Anm. d. Red.] sind sogar Studierende aktiv. Im vergangenen Jahr wurde deren Funding sehr gekürzt. Sie sind meines Wissens in einer wirklich schwierigen Situation. Im Vorstand dieser Organisationen sitzen oft Leute von den Unis. Dieser Bezug zur Wissenschaft ist total wichtig, daher sind Wissenschaftlerinnen natürlich betroffen. Als Ausländerin hat man vielleicht einen Bonus im Vergleich zu Kolleginnen aus China und Hongkong. Aber die Situation ist sehr heikel. Die Entlassung von Professor Tai ist das beste Zeichen dafür. Was bedeutet das für die internationale wissenschaftliche Szene? Am Ende verlieren die Arbeiterinnen in China, weil wir dann einfach nichts mehr über sie wissen. Für uns geht es nun darum, diejenigen, die ohnehin sehr schwach repräsentiert sind, zu unterstützen.

Wie beurteilst du die Reaktion der Europäischen Union auf das umstrittene Gesetz?

Ich muss sagen, ich verstehe die Reaktion nicht ganz. Länder wie Australien haben die Auslieferung von Verdächtigen ausgesetzt, was die EU nicht gemacht hat. Es ist interessant, dass es überhaupt ein Statement dazu gibt. Die EU versuchte zuvor, sich in mehreren Angelegenheiten für eine Menschenrechtsnote auf der EU-Ebene einzusetzen. Das scheiterte schließlich an Vetos von Ungarn und Griechenland. Das liegt an chinesischen Investitionen in den Ländern, wie der Hafen von Piräus, die Bahn von Belgrad nach Budapest. Im Vergleich zu früher, ist die Reaktion der EU aber schon nicht schlecht.

Was sind eure Appelle an die Politik in Europa? Was soll geschehen?

Die EU hat viele Möglichkeiten. Wichtig ist, ganz klar Stellung zu beziehen. Es gibt internationale Verträge, die eingehalten werden müssen. Meiner Meinung nach widerspricht das neue Gesetz sogar der Verfassung Hongkongs, dem Basic Law, in dem die Unabhängigkeit der Region in verschiedenen Bereichen festgelegt ist.

…und in Bezug auf faire Arbeitsbedingungen?

Auf UNO-Ebene wird derzeit der sogenannte „UN Binding Treaty“ verhandelt. Es geht darum, dass Unternehmen für ihre gesamte Lieferkette Verantwortung übernehmen sollen. EU-Gesetze sind hier noch sehr bescheiden. Die österreichische UNO-Vertretung sagt, wir sind ein Teil der EU, also werden wir keine eigene Stimme erheben. Als wir vergangenes Jahr an den Verhandlungen teilnahmen, waren wir die einzigen, die jemanden aus China entsandten. Mit dabei waren mehrere hundert NGO-Vertreterinnen, Arbeitsrecht-Vertreterinnen, aber außer Pak Kin Wan, niemand aus China . Als er sich zu Wort meldete, unterbrach ihn der chinesische Vertreter nach zwanzig Sekunden. Das ist sonst die ganze Woche nicht geschehen. Doch der Plenarvorsitzende akzeptierte die Unterbrechung und gab das Wort nicht zurück an Kin. Das Abkommen wäre sehr wichtig im Umgang mit China. Es wäre eine Möglichkeit, die Politik zu umgehen, indem man die Unternehmen dazu veranlasst, ihre Lieferkette zu kontrollieren. Wir wünschen uns auch, dass die Politik ihre öffentlichen Einrichtungen dazu anhält, Electronics Watch beizutreten. Electronics Watch ist eine unabhängige Monitoring-Organisation, die dafür sorgt, Missstände in der Elektronikindustrie aufzudecken und zu verringern. Bisher ist aus Österreich nur die Organisation für Internationale Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Electronics Watch vertreten. Die österreichische Bundesbeschaffung GmbH (BBG) drückt sich und sagt, wie sollen wir Menschenrechtskriterien überwachen? Das ist komplizierter und schwieriger, als etwa Umweltkriterien.

Ist auch sehr konkret.

Vielleicht zu konkret. Juristisch ist das ein sehr heikles Ding, weil dann Klagen wegen Wettbewerbsverzerrung drohen könnten. In Spanien funktioniert es, in Schweden und Deutschland ebenso. In Österreich traut man sich noch nicht drüber.

Noch eine Frage zu deiner Erfahrung in China und Hongkong. Wie hat dich die Reise dorthin persönlich geprägt und was hast du durch sie gelernt?

Ich glaube, wir waren schon vorher fit auf diesem Gebiet, aber durch Gespräche mit Kolleginnen aus Hongkong lerne ich um ein Vielfaches mehr, als wenn ich mir bloß Reports durchlesen würde. Die NGO-Vertreterinnen erzählen einem, wie die Dinge funktionieren und man erfährt Sachen, die man sonst nicht hört. Wir konnten Beziehungen aufbauen, die wir für unsere weitere Arbeit nützen konnten.

Welche Aufgaben bleiben Südwind als NGO nach der Implementierung des Nationalen Sicherheitsgesetzes und der Unfähigkeit der Politik zu handeln? Wie kann man in solch einer komplizierten Situation handeln?

Südwind wird weiterhin Bildungsarbeit und Bewusstseinsbildung sowohl zur Elektronikindustrie, auch in China, als auch zu Problemen und Chancen der Globalisierung betreiben. Das bleibt weiterhin sehr wichtig. Ziel ist, die Menschen in Österreich für das Thema zu sensibilisieren. Wir arbeiten auch mit Politikerinnen, Beschafferinnen und Unternehmen, wenn die das wollen. Unsere Arbeit zu anderen Ländern bleibt unverändert. Für unsere Arbeit als NGO ist es nur ein kleiner Einschnitt, aber für die Menschen dort ist die Umsetzung des Nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong fatal.

30.7.2020