Raketenrucksäcke für Pjöngjang

Grafik: Thomas Pravits Grafik: Thomas Pravits

Nordkoreas #WienLiebe No°1

von Mark-Stephan Kolesik

Wien zählt zu den lebenswertesten Städten der Welt. Das schätzen nicht nur ihre Bewohnerinnen und Besucherinnen, sondern auch die nordkoreanischen Behörden. In den vergangenen Jahren erschienen vermehrt Publikationen zu diesem hochbrisanten Thema.

Wien. Das bedeutet für viele: Mozart, Walzer und ausgezeichneter Wein. Für andere allerdings hat die Stadt viel mehr zu bieten. In internationalen Medien sorgen Fälle von Geldwäsche, Schmuggel international sanktionierter Waren bis hin zu politisch motivierten Morden immer wieder für Aufsehen. Wenig Beachtung fanden für lange Zeit die Umtriebe Nordkoreas. Das Buch „Im Dienst des Diktators“ bietet einen seltenen Einblick in das Leben des Chefeinkäufers der Kim-Dynastie in der Bundeshauptstadt.

Es ist der 18. Oktober 1994. Kim Jong Ryul stellt seine Koffer ab und legt sich erschöpft in das Bett seiner 23 Quadratmeter kleinen Wohnung im Linzer Stadtteil Urfahr, die er vor seiner Flucht sorgsam vorbereitet hatte. Ein Jahr war vergangen, seit das nordkoreanische Personenschutzministerium den Vize-Direktor der Fuhrparkabteilung beauftragte, zwei Feuerwehrautos in Österreich zu beschaffen. Ziel der von Jong Ryul angeführten Delegation war, die Fahrzeuge am 18. Oktober des Folgejahres mit einem Frachtflugzeug vom Flughafen Bratislava mit einer Regierungsmaschine nach Pjöngjang zu transportieren. Doch anders als die geheimen Beschaffungsaufträge, die Kim in den vergangenen Jahren von Wien aus mit höchster Gründlichkeit für die Führung Nordkoreas erledigte, sollte die Delegation diesmal ohne ihren Delegationsleiter nach Hause zurückkehren. Beim Blick auf die Decke seiner neuen Bleibe überkommt Jong Ryul das erste Mal in seinem Leben ein bedrückendes Gefühl der Wehmut und Trauer. Seine Frau und seine Kinder wird er vermutlich nie wiedersehen. Im Halbschlaf lässt er seine Zeit im Dienst der Demokratischen Volksrepublik Korea Revue passieren.

Muster-Kommunist in der DDR

In seiner Heimat zählte Jong Ryuls Familie zu den Kommunistinnen der ersten Stunde. Als Jugendlicher verlässt er das Dorf seiner Eltern, um in Pjöngjang zu arbeiten. Er macht sich als verlässlicher Genosse schnell einen Namen und erhält bald die Möglichkeit, seinen Schulabschluss zu machen. Später sendet ihn Pjöngjang in die DDR, um dort Maschinenbau zu studieren. Mit seinen perfekten Deutschkenntnissen erlernt er hier nicht nur die Fähigkeiten, die ihn später zum Hauptverantwortlichen des Fuhrparks der Kim-Dynastie machen; Bei hohen Besuchen aus der DDR, darunter jenem von Erich Honecker, kommt er sogar als Übersetzer für das Staatsoberhaupt Kim Il-Sung zum Einsatz. Nicht nur seine Sprachgewandtheit, sondern auch seine absolute Treue gegenüber der Regierung in Pjöngjang bringen ihm Beförderung um Beförderung, sodass Kim bald mit Auslandsaufträgen betraut wird. 

Vergoldete Handfeuerwaffen und raketengetriebene Rucksäcke

1974 wird Jong Ryul erstmals nach Wien beordert. Mit 400.000 Dollar im Gepäck folgen mehrere Operationen zur Beschaffung von in Nordkorea kaum erhältlichen Maschinen, Bauteilen, aber auch Luxusgütern. Diese beschafft er mithilfe österreichischer Geschäftsleute. Die Waren finden ihren Weg über Wien nach Nordkorea. So schmuggelt sein Team ausgerüstet mit einem Samsonite-Koffer und Diplomatenpässen vergoldete Feuerwaffen im Gepäck über den Flughafen Wien-Schwechat. Österreich gilt zu dieser Zeit als besonders geeignet für solche Operationen, da die örtlichen Behörden und Zollbeamtinnen weit nicht so streng kontrollieren wie ihre westdeutschen Kolleginnen. Unterstützung erhält das Team von der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea im 14. Wiener Gemeindebezirk.

Während seiner Operationen in Wien knüpft Kim Jong Ryul gute Kontakte zu mehreren österreichischen Geschäftsmännern, die ihm bereitwillig bei der oft illegalen Beschaffung von Maschinen und sogar Waffen und Waffenteilen helfen. Dafür lassen sie sich mit dem aus Nordkorea mitgebrachten Geld in bar bezahlen. Besonders spitzfindig bei der Umgehung der UN-Sanktionen sind die Österreicherinnen, die ihm bei seinen Aufenthalten unter anderem eine Mietwohnung in Wien-Simmering organisieren und sogar den Führerschein bezahlen. Der ist bis heute sein einzig gültiges Ausweisdokument in Österreich, ohne dem ihm etwa das Mieten seiner Fluchtwohnung nicht möglich gewesen wäre. Auch wird Jong Ryul von seinen Geschäftspartnern bestens behandelt. Einladungen zur gemeinsamen Jagd in Salzburg und Tirol und in eine Villa am Attersee helfen dabei, die geknüpften Beziehungen noch weiter zu vertiefen und Vertrauen aufzubauen.

Die lukrativen Aufträge aus dem fernen Nordkorea werden in Österreich, insbesondere in Wien, gerne angenommen. Während die österreichischen Mittelsmänner eine Anfrage Pjöngjangs nach einem Rucksack mit Raketenantrieb ablehnen, beschaffen sie unter anderem erfolgreich Messgeräte, die Herzfrequenzen von Menschen auch hinter Mauern aufspüren können. Dass die Ausfuhr dieser Geräte in die Volksrepublik nach internationalen Sanktionen nicht nur illegal, sondern wegen der Menschenrechtsverletzungen durch die nordkoreanischen Behörden auch moralisch fraglich ist, spielt dabei keine Rolle. Auch dass er große Mengen Waffen in ganz Europa einkauft und ohne Mühe über Jahrzehnte hinweg aus Wien ausfliegt, zeigt, wie Österreich ein so hoher Stellenwert für die Auslandsaktivitäten Nordkoreas zukommen konnte.

Büro 39 und die Golden Star Bank in Wien

Die Devisenbeschaffung und auch Kim Jong Ryuls Aktivitäten werden durch das Büro 39 koordiniert, das der Partei der Arbeit Koreas untersteht und von Kim Il-sung persönlich gegründet wurde. Aufgabe des geheimen Büros ist die Umgehung internationaler Sanktionen und der illegale Waffen- und Drogenhandel. Außerdem verkauft es seltene Materialien wie Gold, Silber und Magnesium. Geleitet wird es durch die Daesong-Gruppe und die Daesong Bank, die einst mit der Golden Star Bank eine Filiale in Wien betrieb. Bei seinen Einkäufen vertraute Kim Jong-Ryul der nordkoreanischen Bank allerdings nicht, weil sie Unregelmäßigkeiten bei seinen Beschaffungen sofort seinen Vorgesetzten in Nordkorea gemeldet hätte. Österreichische Behörden beobachteten die 1982 gegründete Bank lange wegen Vorwürfen der Spionage, Geldwäsche und Verbreitung gefälschter Banknoten. 2004 wurde sie trotz mangelnder Nachweisbarkeit illegaler Aktivitäten geschlossen.

Für Aufsehen sorgte im November 2005 ein Vorfall in Mistelbach, als drei nordkoreanische Männer bei einer Polizeikontrolle 19 Millionen Euro in einem VW Bus mit sich führten. Die mit Diplomatenpässen ausgestatteten Herren erhielten Unterstützung durch hektisch herbeieilende Mitarbeiterinnen der Botschaft aus Wien, die die Situation vorerst klären konnten. Der Verdacht, dass diese Summe mit illegalen Geschäften über eine Operation des Büro 39 lukriert wurde, liegt auch hier nahe. Dennoch unternahmen die lokalen Behörden keine weiteren Anstrengungen, den Fall näher zu untersuchen.

Zweifel

In der Zeit seines Dienstes für den Staat hatte sich Jong Ryul äußerlich gegenüber seinen Genossinnen nichts anmerken lassen. Dennoch plagen ihn in den Jahren in Österreich immer mehr Zweifel an der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit. Er ist überzeugter Kommunist. Und doch kann er nicht verstehen, warum er für die Regierung Millionen an Devisen und Luxusgüter beschaffen soll, während die Menschen in seiner Heimat Hunger leiden. Auch hat der wissbegierige Koreaner immer weniger Verständnis für die harte Zensur der Medien. Nichts liebt er mehr, als über Zeitungen und Fernsehen das Geschehen in der Welt mitzuverfolgen. Insgeheim hofft er auf einen Umsturz oder zumindest politische Reformen. Doch je mehr Zeit vergeht, desto weniger glaubt er an diese Möglichkeit. Das zuvor Undenkbare wird für ihn nun zur einzig vorstellbaren Option.

Leben als Maulwurf

Vor seiner Abreise aus Pjöngjang im Oktober 1993 entschließt sich Jong Ryul dazu, seine Heimat für immer zu verlassen. Seine Flucht plant er bis ins letzte Detail. Nachdem alle beschafften Waren in das am Flughafen Bratislava wartende Frachtflugzeug IL-76 geladen und von ihm persönlich überprüft wurden, nutzt er eine zweistündige Pause vor dem Abflug für die Ausführung seines Fluchtplans. Mit dem Zug fährt er nach Wien, und dann weiter in seine vorbereitete Fluchtwohnung in Linz-Urfahr. Kims Kolleginnen suchen nach ihrem Vorgesetzten, auch die Botschaft Nordkoreas in Wien wird über das Verschwinden des Vize-Direktors unterrichtet und startet eine Suchaktion. Aufgrund der ausufernden Kriminalität in Bratislava und dem Fehlen jeglicher Spur geht man letztendlich davon aus, dass Kim Jong Ryul Opfer eines Raubmordes wurde. Immerhin hatte dieser eine sichtbar große Menge Bargeld mit sich geführt.

Der für tot gehaltene Oberst wird erst mit dem Erscheinen des Buches “Im Dienst des Diktators” wieder an die Öffentlichkeit treten. Unter seinem Spitznamen “Emil” hatte er 15 Jahre lang unentdeckt in Linz gelebt. Vor seinem Tode wolle er mit diesem Buch revolutionär sein und sein Volk zu einem Volksaufstand aufrufen, um die Diktatur zu brechen, erklärt der bereits merklich gealterte Jong Ryul den Autorinnen auf den letzten Seiten des Buches. Auch nach seiner Flucht war es keine einfache Zeit für ihn. Versöhnlich fährt er fort: “Doch in der Freiheit kann man alles ertragen.”

Ingrid Steiner-Gashi und Dardan-Gashi gelingt hier ein Einblick in ein wenig bearbeitetes Themenfeld, der sich flüssig liest und dennoch eine Fülle spannender Informationen vermittelt.

Literatur:

Steiner-Gashi, Ingrid; Gashi, Dardan (2010): Im Dienst des Diktators: Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten, Verlag Carl Ueberreuter, ISBN 978-3-8000-7450-1