Fest verankert

Von Michael Prammer und Philipp Wiktorin

Im September 2010 berichtete die japanische Nachrichtenseite asahi.com über das Sportfest einer Mittelschule auf der japanischen Insel Hashirajima. Dies allein gäbe noch keinen Anlass für eine Schlagzeile. Doch die besagte Mittelschule hatte zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der geringen Einwohnerzahl der Insel nur einen Schüler. Dennoch hielt man das Fest nach monatelangen Vorbereitungen wie geplant ab.

Zunächst verwundert es, mit welcher Ernsthaftigkeit das Sportfest umgesetzt und nicht abgesagt wurde. Der Japanologe Peter Mühleder hat im Laufe seiner Masterarbeit untersucht, welche Bedeutung das Sportfest in der japanischen Kultur und Gesellschaft einnimmt. Das japanische Schulsportfest wurde in Japan in der Meiji-Ära (1886-1912) an allen Schulen eingeführt und war Teil einer umfassenden Modernisierung des Landes. Die grundlegenden Inhalte blieben unverändert.

Welche Funktion erfüllt das Sportfest? Vor dem Zweiten Weltkrieg setzte der japanische Staat Sportfeste ein, um die Bevölkerung zu Bürgern einer modernen Nation zu erziehen. Nach 1945 wurde die nationalistische Erziehungsideologie durch eine „Friedenserziehung“ ersetzt. Im Laufe der Jahrzehnte kam es zu einigen Änderungen im japanischen Erziehungswesen und patriotische Elemente kehrten zurück. So muss die japanische Flagge bei jedem Sportfest gehisst und die japanische Nationalhymne abgespielt werden.

Dennoch liegt die Umsetzung bei den Schulen. Oft werden kreative Wege gefunden um Vorschriften zu umgehen. In einer Variante ist die japanische Flagge kunstvoll und kaum wahrnehmbar in die Dekoration eingewoben. Da nicht feststeht, wo man die Flagge zu hissen hat, kommt es auch vor, dass sie abseits des Sportfests im Büro des Direktors gehisst wird. Bei manchen Sportfesten wird die Nationalhymne nur kurz oder ohne Text angespielt. Dadurch werden Objekte mit „nationalen“ Charakter in ihrer Wirksamkeit abgeschwächt. Die Organisation des Fests wird großteils von den Schülern selbst übernommen. Diese finden sich in Komitees zur Planung und Gestaltung zusammen. Die diktierende Funktion des Staates wird somit eingeschränkt und an die Mitglieder der Gemeinde übertragen, welche auf freiwilliger Basis die Planung und Gestaltung unterstützen.

Bei den Bewerben steht Leistung der Gruppe im Vordergrund. Dies ergibt sich durch die Zusammenstellung von Teams, denen jeder Schüler zugeordnet wird. Die Einteilung erfolgt durch den Wohnort des Schülers. Jeder Schüler kann Punkte für sein Team sammeln, um zu dessen Gesamtleistung beizutragen. Individualität wird durch die Teilnahme an der Organisation erreicht. Durch diese Verbindung wird ein lokaler Zusammenhalt gefördert, der die Rolle als Mitglied der eigenen kleinen Gemeinde betont. Es erlaubt den Teilnehmern, sich selbst als Mitglied der Gemeinde wahrzunehmen und diese mitzugestalten.

Das Sportfest wurde auf der Insel Hashirajima genauso ernst genommen wie überall sonst. Für die Bewohner der Insel ist es nicht nur eine Sportveranstaltung. Freiwillige halfen bei den Vorbereitungen mit, sodass auch dieser einzelne Schüler die Chance bekam, sich als der Teil der Gemeinschaft auf der Insel zu identifizieren. Das Sportfest stellt nicht nur ein Mittel zur Sozialisierung und Erziehung dar, sondern ist eine kulturelle Darbietung, die jedem Schüler erlaubt, sich sowohl als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen, als auch als Teil der japanischen Kultur.