Zwei asiatische Großstädte, zwei Lebensstile

Von Falko Loher und Christian Schwarz

Familie Uchiyama lebt in Japans Hauptstadt Tokyo, Familie Yang lebt in der chinesischen Metropole Shanghai. Die japanische Familie kommt aus dem hippen Jugend-Viertel Shibuya und lebt zu viert in einer 75 Quadratmeter großen Wohnung. Die Yangs besitzen eine 30 Quadratmeter große Wohnung im Shanghaier Bezirk Yangpu. Ein Vergleich.

Bereits um 6 Uhr steht die 15-jährige Hiroko an der Bettkante ihrer Eltern. Ein normaler Wochentag beginnt: Zuerst bereitet Mutter Masako das Frühstück vor. Die jüngere Tochter, die zwölfjährige Aiko, hat es gut: Sie steht eine Stunde später auf und bekommt ihr Mittagessen in der Schule. Manchmal kann die Familie auch gemeinsam frühstücken, sagt die Mutter. Man merkt, dass es ihr lieber wäre, wenn das öfter vor käme. Familie Uchiyama lebt in Shibuya, einem zentral gelegenen Bezirk der japanischen Hauptstadt Tokyo. Masako ist eine Programmdirektorin von „Nippon Hoso Kyokai“ (NHK), Japans öffentlich-rechtlichem Fernsehsender; ihr Mann arbeitet auch dort. Zusammen verdienen sie recht gut und können sich daher eine Wohnung in Shibuya, einem ziemlich kostspieligen Pflaster, leisten – und das noch dazu in der teuersten Stadt der Welt, wie eine aktuelle Mietpreisstudie von „ECA International“ zeigt. Die Uchiyamas leben in einer 75-Quadratmeter- Wohnung in einem sechsstöckigen Gebäude. Die Kosten der Wohnung fressen zirka 15 bis 20 Prozent des Einkommens. Für die Familie sei das akzeptabel, da sie und ihr Mann beide Vollzeit arbeiten, sagt Masako.

Ein Grund, warum sie sich für eine Wohnung in Shibuya entschieden haben, ist die Nähe zum Arbeitsplatz. Die Uchiyamas genießen den Luxus, nicht weit von der NHK-Zentrale wegzuwohnen. Das ist sehr ungewöhnlich in einer Stadt, die mit neun Millionen Einwohnern eine größere Bevölkerung hat, als ganz Österreich zusammen. Weites, stundenlanges Pendeln steht hier an der Tagesordnung. Masako legt die Strecke bis in die Arbeit mit dem Fahrrad zurück. Ihr Mann geht zu Fuß, genauso wie die 12-jährige Aiko. Die Einzige, die mit dem öffentlichen Verkehr in die Schule fährt, ist ihre Schwester. Mit der Ginza-U-Bahn-Linie fährt Hiroko durch das Zentrum Tokyos.

Nach einem anstregenden Arbeitstag kommt Masako zwischen 19 und 20 Uhr nach Hause. Dann kümmert sie sich um die Mädels, die beide auch zirka um 19 Uhr aus der Schule nach Hause kommen. Nach dem Essen wird gebadet und danach spricht man gemeinsam über die Erlebnisse des Tages. Masako fällt zwischen 23 und 1 Uhr in der Nacht erschöpft ins Bett. „Für uns ist das Leben ziemlich hektisch“, fasst Masako ihren Lebensstil zusammen. Ursprünglich kommt sie aus Kagoshima, das auf der südlichsten der vier Hauptinseln Japans liegt. Dort geht es um einiges ruhiger zu. Tokyo ist nun mal eine sehr hektische Stadt, mit vielen Menschen, hohen Gebäuden und kleinen Wohnungen. Es bleibe keine Zeit, der Schönheit der Stadt Aufmerksamkeit zu schenken. „Trotzdem lebe ich gerne hier, da ich ein aktiver Mensch bin“, erklärt Masako ihre Entscheidung, nach Tokyo zu ziehen. „Für Menschen, die ein ruhiges Leben führen wollen, ist Tokyo wahrscheinlich eine schlechte Wahl.“ Ja, in Tokyo lebe sie richtig gerne. Aber eine Stadt gebe es doch, in der sie lieber wohnen würde: Hong Kong. „Ich liebe das Essen dort über alles.“

Um halb 8 Uhr morgens herrscht im sechsstöckigen Wohnhaus der Familie Yang im Shanghaier Bezirk Yangpu reger Betrieb. Doch Yang Liuping und seine Frau Xue Lihua, beide sind 55 Jahre alt, müssen sich nicht stressen: „Zu dieser Zeit können wir gemütlich frühstücken“, sagt Yang. Xue ist pensionierte Volksschullehrerin, Yang kann sich seine Zeit als selbstständiger Versicherungsvertreter frei einteilen. „Meist verlasse ich das Haus nicht vor neun Uhr morgens.“

In der Küche der kleinen 30-Quadratmeter-Wohnung im dritten Stock dampft es aus vielen Töpfen. Die Yangs essen ein traditionell chinesisches Frühstück. „Meist essen wir Reissuppe, gedämpftes Brot und chinesische Teigtaschen. Dazu trinken wir ungesüßte Sojamilch“, so die Mutter. Es ist sehr eng in der mit Möbeln vollgestellten Wohnung. Im größten Raum, dem Wohnzimmer, befinden sich neben einem Esstisch und zahlreichen Schränken auch ein braunes Sofa und eine neue Fernsehanlage, sowie das Bett des Ehepaares. Das dritte Zimmer der Wohnung bewohnt normalerweise ihr Sohn Yiran, der derzeit in Deutschland studiert.

Gegen 9 Uhr verlässt Yang seine Wohnung in Richtung Arbeit. Auf dem Weg zur Bushaltestelle schlendert er durch das ruhige Wohnviertel, das aus Häusern mit grün lackierten Eingangstüren besteht; Klimaanlagen hängen reihenweise an den dunkelbraunen Außenfassaden und unzählige Fahrräder lehnen an den Hauseingängen. Fremde verirren sich leicht in diesen von den Shanghaiern oft Gasse – nong – genannten Wohngegenden. „Ich nehme meist den Bus zur Arbeit“, sagt Yang. Dank des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs in den letzten Jahren könnte er auch mit der U-Bahn fahren, doch diese meidet Yang aufgrund der schlechten Luft. Der Bus der Linie 22 ist, genauso wie die U-Bahn, meist überfüllt. Er schiebt sich durch den zähflüssigen Verkehr und und braucht 45 Minuten zu Yangs Firma am anderen Ende der Stadt.

Während Yang arbeitet, kümmert sich Xue um den Haushalt und geht einkaufen. „Meistens gehe ich zu einem der vielen kleinen Supermärkte oder zu Märkten in der Umgebung. Dabei achte ich penibel auf die Frische und Qualität der Waren und vergleiche die Preise genau“, sagt Xue. Den Preisanstieg der letzten Jahre spürt das Ehepaar sehr stark. Zwar ist die Miete für die Wohnung selbst für chinesische Verhältnisse nicht hoch, doch finanziert das Paar mit dem Gehalt auch ihren Sohn und muss daher ständig auf die Preise achten. Freizeitaktivitäten oder gemeinsame Urlaube sind nur selten vorgesehen. „Nur dieses Jahr planen wir unseren Sohn für einige Wochen in Deutschland zu besuchen.“

Um 18 Uhr kommt Yang aus der Arbeit und liest Zeitung während seine Frau das Essen zubereitet. Nach dem Essen schauen beide fern, meist chinesische Seifenopern. Sie sind zufrieden mit ihrem Leben. Die Yangs hätten zwar gerne eine größere Wohnung, doch leben sie gerne in ihrer Gasse. Beide blicken optimistisch in die Zukunft. Das Wichtigste in ihrem Leben, so Yang, ist nicht Geld, sondern Glück und Gesundheit.